Neue Maßstäbe zur ärztlichen Dokumentationspflicht

|| Medizinrecht

BGH, Urteil vom 27.04.2021 - VI ZR 84/19

Die nur langsam voranschreitende Digitalisierung im Gesundheitswesen rückte insbesondere im Rahmen der Coronapandemie wieder verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit. Zahlreich waren die Klagen darüber, dass dem Faxgerät in keiner anderen Branche heute noch eine derart große Bedeutung zukommen. Ein Bereich, in dem die Digitalisierung jedoch in den meisten Gesundheitseinrichtungen schon seit einiger Zeit angekommen ist, ist die elektronisch geführte Patientenakte.

Gem. § 630f BGB ist der Behandelnde verpflichtet, zum Zweck der Dokumentation in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Behandlung eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen. Eben für diese elektronisch geführte Patientenakte hat das höchste deutsche Zivilgericht nun zwei fundamentale Aussagen getroffen.

Im dem dem Urteil zugrunde liegenden Fall begehrte der Kläger von seiner Augenärztin Ersatz materiellen und immateriellen Schades aufgrund fehlerhafter Behandlung. Diese nutzte eine elektronische Dokumentationssoftware, die nachträgliche Änderungen nicht erkennbar macht. Zwischen den Parteien war streitig, ob durch die Beklagte eine Untersuchung unter Pupillenerweiterung durchgeführt wurde und ob eine Aufklärung hinsichtlich des weiteren Vorgehens bei Verschlechterung der Symptomatik erfolgt ist In der elektronischen Dokumentation der Augenarztpraxis war eine Untersuchung unter Pupillenerweiterung festgehalten worden.

In der ersten bemerkenswerten Aussage festigt der BGH die Ansicht, dass die therapeutische Aufklärung bzw. Sicherungsaufklärung gem. § 630 c II 1 BGB nicht der Dokumentationspflicht des § 630f BGB unterfällt. Mit dem Begriff der „Aufklärung“ im Sinne des § 630f II 1 BGB sei lediglich die in § 630e BGB geregelte Selbstbestimmungsaufklärung, nicht hingegen die vom rechtsprechenden Senat bislang als therapeutische Aufklärung oder Sicherungsaufklärung bezeichnete therapeutische Information des Patienten gemeint.

Die zweite Aussage des BGH bezieht sich auf die Beweiskraft einer Dokumentation, die nachträgliche Änderungen nicht erkennbar macht. Nach Auffassung des BGH genügt eine elektronische Dokumentation, die nachträgliche Änderungen nicht erkennbar macht, nicht den Anforderungen des § 630f I 2 und 3 BGB. Es sei nach diesen Bestimmungen sicherzustellen, dass im Falle von Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen erkennbar bleibt, wann diese vorgenommen worden sind. Die Verwendung einer nicht diesen Anforderungen entsprechenden Softwarekonstruktion führe zwar nicht zur Vermutung des § 630f III BGB, genau so wenig komme ihr aber eine positive Indizwirkung dahingehend zu, dass die dokumentierte Maßnahme von dem Behandelnden tatsächlich getroffen wurde.

Behandelnden, die in ihrer Praxis auf elektronische Dokumentation setzen, sei in Folge der neuen Rechtsprechung des BGH daher geraten, auf eine Softwarekonstruktion zu setzen, die gewährleistet, dass nachträgliche Änderungen erkennbar werden.


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