Risikobeschreibungen müssen sich nicht an den Häufigkeitsdefinitionen des Medical Dictionary For Regulatory Activities (MedDRA) orientieren

|| Medizinrecht

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 20.02.2018, Az.: 8 U 78/16

Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass sich etwaige verbale Risikobeschreibungen („gelegentlich“, „selten“, „sehr selten“ etc.) in ärztlichen Aufklärungsbögen nicht an den Häufigkeitsdefinitionen des MedDRA, die in Beipackzetteln zu Arnzneimitteln Verwendung finden, orientieren müssen.

Diesem Ergebnis liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger wurde im Jahre 2011 bei medialer Gonarthrose im Krankenhaus der Beklagten eine Schlittenprothese eingesetzt. Im Jahr 2013 stellte sich der Kläger erneut bei der Beklagten vor und berichteten über zunehmende Belastungsschmerzen des rechten Kniegelenks. Im Rahmen der Revisionsoperation wurde eine Lockerung der Prothese festgestellt. In einer Folgeoperation erfolgte sodann die Implantation einer neuen Schlittenprothese.

Der Kläger behauptete, die Operation im Jahr 2011 sei fehlerhaft vorgenommen und die damalige Schlittenprothese fehlerhaft eingesetzt worden. Hierdurch sei es zur Lockerung gekommen. Es sei absolut ungewöhnlich, dass sich eine ordnungsgemäß eingesetzte Schlittenprothese binnen zwei Jahren in dieser Weise lockern könne. Überdies sei die Aufklärung gemäß dem Aufklärungsbogen nicht hinreichend konkret gewesen, aufgrund der Wortwahl im Aufklärungsbogen, dass „im Laufe der Zeit gelegentlich“ Lockerungen der Prothese auftreten können.

Erstinstanzlich wurde durch einen medizinischen Sachverständigen festgestellt, dass bei dem Kläger eine Indikation zum Einsatz der Schlittenprothese gegeben war sowie, dass die Implantation regelrecht erfolgt ist. Ein Behandlungsfehler konnte damit nicht nachgewiesen werden. Das OLG folgte den Ausführungen des Sachverständigen und kam gleichfalls zu dem Ergebnis, dass ein Behandlungsfehler nicht gegeben ist.

Der Sachverständige gelangte außerdem zu dem Ergebnis, dass die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Lockerung nach der Implantation einer Knieprothese im Bereich bis zu 8,71 % liege. Der Kläger meint, dass sich Risikobeschreibungen in Aufklärungsbögen an den Häufigkeitsdefinitionen des MedDRA zu orientieren haben. Hiernach wird der Begriff „gelegentlich“ dahingehend definiert, dass Nebenwirkungen bei einem bis zu zehn von 1000 Behandelten auftreten (0,1 bis 1 %). Der Kläger meint, er hätte explizit auf die Wahrscheinlichkeit hingewiesen werden müssen, dass auch eine Lockerung innerhalb von zwei Jahren denkbar sei. Wäre er darauf hingewiesen worden, wäre er in einen ernsthaften Gewissenskonflikt geraten und hätte von der Operation Abstand genommen

Das OLG führt hierzu aus, dass ein Risiko i.H.v. 8,71 % von dem natürlichen Wortsinn des Wortes „gelegentlich“ ohne weiteres gedeckt sei. Die in Aufklärungsbögen verwendeten Risikobeschreibungen hätten sich auch nicht an den Häufigkeitsdefinitionen des MedDRA zu orientieren. Dies aufgrund dessen, dass die MedDRA-Definitionen nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch des Patienten entsprechen. Es könne keine Rede davon sein, dass der durchschnittliche Patient mittlerweile in einem Ausmaß mit Packungsbeilagen und den darin zugrunde gelegten Häufigkeitsdefinitionen vertraut sei, dass sein Sprachverständnis hierdurch entscheidend geprägt wäre. Ein Patient würde bei seinen Überlegungen in Bezug auf eine etwaige Einwilligung üblicherweise nicht etwa danach differenzieren, ob ein Risiko „selten“ (bis zu einem von 1000 Patienten) oder „sehr selten“ (bis zu einem von 10.000 Patienten) auftritt. Hinzu käme, dass Risikostatistiken für das Maß der Aufklärung nur von geringem Wert seien. Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht sei nicht ein bestimmter Grad der Risikodichte, insbesondere nicht eine bestimmte Statistik. Maßgebend sei vielmehr, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet. Nach alldem blieb die Klage ohne Erfolg.

Da die Rechtsfrage hinsichtlich der Metradefinitionen in der Rechtsprechung und in der Literatur umstritten ist, hat das OLG die Revision zugelassen.


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