Abgeltung von Arbeitszeitguthaben

|| Arbeitsrecht

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 10.07.2018, Az.: 2 Sa 33/18

Scheidet ein über einen längeren Zeitraum erkrankter Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis aus, so sind seine in einem Arbeitszeitkonto erfassten Überstunden abzugelten. Soweit ein Arbeitgeber Arbeitszeiten und Überstunden in einem Arbeitszeitkonto führt und hierüber regelmäßige Kontoauszüge an Arbeitnehmer verteilt, muss der Arbeitnehmer im Streitfall nicht darlegen, dass die Überstunden auf Anordnung oder mit Duldung und Billigung des Arbeitgebers geleistet wurden. Es genügt, wenn er den Kontoauszug vorliegt.

Einleitung

Die Abrechnung von Überstunden nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis ist streitanfällig und häufig Gegenstand von Auseinandersetzungen vor den Arbeitsgerichten. Die Schwierigkeit für den Arbeitnehmer besteht darin, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass tatsächlich Arbeitszeit über die vertraglich vereinbarte regelmäßige Wochenarbeitszeit hinaus geleistet wurde und dies auf Anordnung des Arbeitgebers oder zumindest mit dessen Duldung geschah.

Das Bundesarbeitsgericht hat in einer grundlegenden Entscheidung mit einem Urteil vom 23.09.2015 Leitsätze für die rechtliche Beurteilung von Überstunden aufgestellt, über die der Arbeitgeber für einen Arbeitnehmer mit Vertrauensarbeitszeit in einem Arbeitszeitkonto Buch geführt hat:

1. Weist der Arbeitgeber in einem Arbeitszeitkonto Guthabenstunden vorbehaltlos aus, stellt er damit das Guthaben streitlos. Eine Geltendmachung zur Wahrung von Ausschlussfristen ist in diesem Fall auch dann entbehrlich, wenn sich das Guthaben in einen Zahlungsanspruch wandelt.

2. Will der Arbeitgeber im Nachhinein den auf dem Arbeitszeitkonto vorbehaltlos zu Gunsten des Arbeitnehmers ausgewiesenen Saldo bestreiten, obliegt es ihm im Einzelnen darzulegen, auf Grund welcher Umstände der ausgewiesene Saldo unzutreffend sei oder sich bis zur vereinbarten Schließung des Arbeitszeitkontos reduziert habe. Erst dann hat der Arbeitnehmer vorzutragen, wann er Arbeit verrichtet oder einer der Tatbestände vorgelegen habe, der eine Vergütungspflicht ohne Arbeit regelt.

3. Beruft sich der Arbeitnehmer zur Begründung eines Anspruchs auf Abgeltung eines Zeitguthabens nicht auf ein vom Arbeitgeber geführtes Arbeitszeitkonto, sondern auf selbst gefertigte Arbeitszeitaufstellungen, hat er die den behaupteten Saldo begründenden Tatsachen im Einzelnen darzulegen. Erst wenn dies geschehen ist, hat sich der Arbeitgeber hierzu zu erklären. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitgeber die Führung eines Arbeitszeitkontos vertragswidrig unterlassen hat.

4. Behauptet der Arbeitnehmer zur Begründung eines (abzugeltenden) Arbeitszeitguthabens, von ihm geleistete Überstunden seien in ein vereinbartes Arbeitszeitkonto einzustellen, kann er sich nicht auf die Darlegung der Überstundenleistung beschränken. Er hat als weitere Voraussetzung für eine Gutschrift die arbeitgeberseitige Veranlassung und Zurechnung, das heißt die Anordnung, Billigung, Duldung oder Erforderlichkeit der behaupteten Überstunden darzulegen.

5. Steht fest, dass eine Forderung entstanden ist, kann regelmäßig nicht angenommen werden, der Gläubiger habe sein Recht einfach wieder aufgegeben. An die Feststellung eines Verzichtswillens sind hohe Anforderungen zu stellen. Ein Erlass liegt im Zweifel nicht vor.

6. Das für eine Verwirkung erforderliche Zeitmoment kann nicht ausgelöst werden, solange das geltend gemachte Recht noch nicht besteht.
Die Entscheidung des LAG Mecklenburg-Vorpommern beruht auf einer Anwendung dieser Grundsätze und ruft damit die Bedeutung des Arbeitszeitkontos für die Abgeltung von Überstunden in Erinnerung.

Sachverhalt

Der Arbeitnehmer war im Streitfall von September 2015 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.04.2017 krank gewesen. Laut Tarifvertrag standen ihm pro Jahr 29 Tage Urlaub zu. Mit seinem Kündigungsschreiben vom 17.03.2017 forderte er Urlaubsabgeltung und Überstundenbezahlung. Insgesamt beanspruchte er 29 Tage Urlaub für 2016 und anteilig aufgerundet 10 Tage für 2017. Infolge der Dauererkrankung war der Arbeitnehmer nicht in der Lage gewesen, den Urlaub in 2016 und 2017 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu nehmen.

Ferner machte der Arbeitnehmer die Vergütung von 80,95 Überstunden geltend, die zum Zeitpunkt der Beendigung auf dem Arbeitszeitkonto ausgewiesenen waren. Er hatte von seinem Vorgesetzten regelmäßige Auszüge über das vom Arbeitgeber für ihn geführte Arbeitszeitkonto und den jeweiligen Stundensaldo erhalten. Dieser betrug zuletzt 68,95 Plusstunden. 12 der geltend gemachten Überstunden waren im Arbeitszeitkonto nicht erfasst.

Entscheidung

Das LAG stellte fest, dass der geltend gemachte Urlaub nicht verfallen sei. In Übereinstimmung mit dem EuGH und dem BAG seien die gesetzlichen Urlaubsansprüche aus 2016 während der Krankheit nicht nach § 7 III BurlG erloschen. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses handele es sich gemäß § 7 IV BurlG um einen reinen Geldanspruch. Da es eine gesonderte Regelung zum übergesetzlichen Urlaubsanspruch (hier 9 Tage pro Jahr) nicht gebe, werde der gesamte Urlaubsanspruch gleichbehandelt. Eine Differenzierung zwischen dem im Bundesurlaubsgesetz geregelten Mindesturlaub und dem darüberhinausgehenden tariflichen Urlaub sei auch dann nicht vorzunehmen, wenn der Tarifurlaub nach der im Tarifvertrag geregelten Verfallfrist verfallen wäre.
Angesichts dessen, dass die Überstunden durch den Arbeitgeber erfasst wurden, habe es nach der Rechtsprechung des BAG ausgereicht, dass der Arbeitnehmer das Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto dargelegt habe. Die Anordnung oder Duldung von Überstunden durch den Arbeitgeber müsse in diesem Fall nicht vorgetragen werden. Auf dem Auszug des Arbeitgebers seien 68,95 Stunden ausgewiesen gewesen, diese seien zu bezahlen gewesen.

Fazit

Die schwierige Darlegung des Arbeitnehmers, dass Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet oder geduldet worden waren, ist nicht erforderlich, wenn der Arbeitgeber Überstunden in einem von ihm geführten Arbeitszeitkonto in regelmäßigen Abständen ausweist und diese Ausweise dem Arbeitnehmer übergibt. Im Arbeitszeitkonto ausgewiesene Mehrarbeit stellt damit ein Anerkenntnis seitens des Arbeitgebers hinsichtlich geleisteter Überstunden dar. Da der Vergütungsanspruch erst mit der Abrechnung des Arbeitszeitkontos am Ende des Arbeitsverhältnisses fällig wird, greift auch eine gegebenenfalls im Arbeitsvertrag vereinbarten Ausschlussfrist nicht.


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