Altersdiskriminierung in Sozialplanabfindung bei Schwerbehinderung

|| Arbeitsrecht

BAG Urteil vom 11.10.2022 Az.: 1 AZR 129/21

Es verstößt gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn die Betriebsparteien in einem Sozialplan grundsätzlich die Gewährung eines zusätzlichen Abfindungsbetrags zum Ausgleich der durch eine Schwerbehinderung bedingten wirtschaftlichen Nachteile infolge des Arbeitsplatzverlusts vorsehen, dessen Zahlung aber wegen einer im Sozialplan vorgesehenen Höchstbetragsregelung bei älteren schwerbehinderten Arbeitnehmern unterbleibt.
BAG, Urteil vom 11.10.2022 – 1 AZR 129/21 (LAG Nürnberg 2.12.2020 – 3 Sa 187/20)

Einleitung

Das BAG hatte mit Urteil vom 08.02.2022- 1 AZR 252/21 entschieden, dass eine Regelung in einem Sozialplan, die für Abfindungen einen Höchstbetrag vorsieht (sog. Höchstbetragsregelung), ältere Arbeitnehmer regelmäßig nicht mittelbar benachteiligt, wenn die Abfindung die durch den Verlust des Arbeitsplatzes entstehenden Nachteile spürbar abmildert und nur die Begünstigung begrenzt, die diese Arbeitnehmergruppe durch die Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit bei der Abfindungsberechnung erfahren hat. Eine Höchstbetragsregelung sei nicht deshalb unangemessen, weil sich eine längere Betriebszugehörigkeit bei Arbeitnehmern mit höherem Bruttomonatsentgelt schon zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr abfindungserhöhend auswirkt.

Anders liegt der Fall, wenn der Sozialplan dem schwerbehinderten Arbeitnehmer einen Zuschlag zur Abfindung zuspricht und dieser Mehrbetrag durch die Einführung einer Kappungsgrenze nicht zum Tragen kommt.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über einen zusätzlichen Abfindungsbetrag für Schwerbehinderte. Die Arbeitgeberin und der bei ihr gebildete Betriebsrat schlossen im Juni 2019 einen Sozialplan zur Werkschließung (SP) ab. Danach berechnet sich die Sozialplanabfindung nach der Formel „Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatseinkommen x Faktor“, wobei sich der Abfindungsfaktor aus einer Altersstaffel ergibt. Für Schwerbehinderte und Gleichgestellte sieht der Sozialplan eine zusätzliche Abfindung von 1.500 EUR vor, bei einem Grad der Behinderung (GdB) von über 50 i. H. v. 2.000 EUR. Der Gesamtabfindungsbetrag ist auf 75.000 EUR beschränkt. Unter diese Kappungsgrenze fällt auch die Zusatzabfindung für Schwerbehinderte.

Der mit einem GdB von 80 schwerbehinderte Arbeitnehmer war langjährig beschäftigt. Da sich seine nach der Formel und der Altersstaffel zu berechnende Abfindung bereits auf knapp 93.000 EUR und damit auf einen Betrag über der Höchstbetragsregelung von 75.000 EUR belief, zahlte der Arbeitgeber keine zusätzliche Abfindung wegen der Schwerbehinderung.

Mit seiner Klage verlangte der Arbeitnehmer die Zahlung der Zusatzabfindung für Schwerbehinderte von 2.000 EUR. Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die Berufung hiergegen zurückgewiesen.

Entscheidung

Die Revision des Arbeitnehmers war begründet.

Nach der Ansicht des BAG stand die Höchstbetragsregelung der Zahlung nicht entgegen. Zwar unterfalle der zusätzliche Abfindungsbetrag für Schwerbehinderte dieser Kappungsgrenze, diese sei aber wegen Verstoßes gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 I BetrVG unwirksam, soweit sie sich auf den Zusatzabfindungsbetrag erstrecke.

Die Betriebsparteien verfügen bei der Ausgestaltung von Sozialplänen über einen Beurteilungs- und Gestaltungsspielräume, die Typisierungen und Pauschalierungen einschließen. Dabei müssen sie jedoch den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beachten. Durch die Begrenzung der Gesamtabfindung auf 75.000 EUR pro Arbeitnehmer werde ein Teil der schwerbehinderten Arbeitnehmer anders behandelt als der übrige Teil dieser Gruppe. Auf Grund der Kappungsgrenze könnten die Zusatzabfindung für Schwerbehinderte nur denjenigen schwerbehinderten Arbeitnehmern erhalten, deren nach der Formel berechnete Abfindung den Höchstbetrag nicht übersteige. Dies führe zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der abfindungsberechtigten schwerbehinderten Arbeitnehmer.

Diese Ungleichbehandlung könne auch nicht durch den Zweck der Höchstbetragsregelung, mit welcher eine Verteilungsgerechtigkeit vor dem Hintergrund limitierter Sozialplanmittel gewährleistet werden solle, gerechtfertigt werden. Die Begrenzung der Sozialplanabfindung greife auf Grund der Berechnungsformel, die maßgeblich an das Lebensalter und die Betriebszugehörigkeit anknüpfe, innerhalb der Gruppe der schwerbehinderten Arbeitnehmer vor allem bei älteren Schwerbehinderten. Gerade bei dieser Personengruppe könnten die – von den Betriebsparteien als ausgleichspflichtig angesehenen – besonderen Nachteile infolge einer Schwerbehinderung entstehen.

Fazit

Insbesondere das Verbot der Altersdiskriminierung setzt dem Beurteilung- und Gestaltungsspielraum der Betriebsparteien bei der Gestaltung von Sozialplänen Grenzen. Arbeitgeber müssen diese Grenzen beachten, wenn sie sich nicht zusätzlichen Ansprüchen der vom Sozialplan betroffenen Arbeitnehmer aussetzen wollen.


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