Annahmeverzugslohn bei unterbliebener Arbeitslosmeldung

|| Arbeitsrecht

BAG Urteil vom 12.10.2022 Az.: 5 AZR 30/22

Eine Verletzung der Meldeobliegenheit nach § 38 I SGB III muss auch bei Streitigkeiten über den Annahmeverzugslohn bei der Auslegung des Begriffs des böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdienstes berücksichtigt werden, und zwar anhand der gemeinsamen Vertragsbeziehung unter Berücksichtigung der Verkehrssitte.

Die Einschätzung der Böswilligkeit nach § 11 Nr. 2 KSchG setzt stets eine Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen anhand einer Bewertung aller Umstände des konkreten Einzelfalls voraus.

BAG, Urteil vom 12.10.2022 – 5 AZR 30/22 (LAG Niedersachsen 9.11.2021 – 10 Sa 15/21)

Einleitung

Nach § 615 S. 2 BGB verliert ein Arbeitnehmer den Vergütungsanspruch aus Annahmeverzug des Arbeitgebers, wenn er böswillig keine anderweitige Vergütung erzielt. Die Vorschrift ist insbesondere im Kündigungsschutzprozess relevant, wenn der Arbeitnehmer seinen Kündigungsschutzprozess gewinnt und für die Zeit, in der er vom Arbeitgeber während des Prozesses nicht beschäftigt wurde, die ihm durch die Nichtbeschäftigung entgangene Vergütung verlangt (Zwischenverdienst).

Ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes nach § 615 S. 2 BGB liegt nach der Rechtsprechung des BAG vor, wenn dem Arbeitnehmer ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig geblieben ist und eine nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufgenommen oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindern hat. Mit Urteil vom 23.01.2021 hat das BAG entschieden, dass z.B. die im Ergebnis unwirksame Versetzung des Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz böswillig unterlassenen Erwerb nach § 615 S. 2 BGB nicht von vornherein ausschließt.

In dem hier vorgestellten Fall hatte sich ein Arbeitnehmer nach der Kündigung nicht arbeitslos gemeldet und auch keine anderweitige Tätigkeit aufgenommen. Die Frage war, ob allein die unterlassene Arbeitslosmeldung die Böswilligkeit nach § 615 S. 2 BGB begründet.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über Arbeitsentgelt aus Annahmeverzug. Der Arbeitnehmer war seit November 2014 bei seinem Arbeitgeber in leitender Position beschäftigt. Am 5.3.2019 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.12.2019. Der Arbeitnehmer meldete sich nicht arbeitsuchend und beantragte auch kein Arbeitslosengeld. Mit Urteil vom 18.11.2020 stellte das ArbG rechtskräftig die Unwirksamkeit der Kündigung fest.

Der Arbeitnehmer klagte anschließend den Zwischenverdienst ein und war der Ansicht, ihm stehe der Annahmeverzugslohn ohne Einschränkung zu, da er während und nach Ablauf der Kündigungsfrist kein anderweitiges Einkommen gehabt habe. Der Arbeitgeber stellte sich auf den Standpunkt, der Arbeitnehmer könne den Zwischenverdienst nicht verlangen, da er seine sozialversicherungsrechtliche Meldepflicht verletzt habe. Das ArbG gab der Klage auf Annahmeverzugslohn statt. Das LAG Niedersachen war der Auffassung, die Verletzung der Meldeobliegenheit aus § 38 I SGB III erfülle stets das Merkmal des böswilligen Unterlassens, was im Ergebnis zum Verlust des Anspruchs auf Annahmeverzugslohn führe.

Entscheidung

Das BAG hielt die Revision des Arbeitnehmers für begründet. Das LAG habe versäumt, eine erforderliche Würdigung aller Umstände des konkreten Falles vorzunehmen, um das böswillige Unterlassen anderweitiger Verdienste zu belegen. Zwar habe das LAG zutreffend erkannt, dass sich die Anrechnung anderweitigen Verdienstes aufgrund des rechtskräftigen Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses nach § 11 Nr. 2 KSchG und nicht nach § 615 S. 2 BGB richte. Eine Anrechnung böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes komme nach Ansicht des BAG nach § 11 Nr. 2 KSchG jedoch nur in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs eine bewusste Untätigkeit vorgeworfen werden kann; er eine ihm zumutbare andere Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit willentlich vereitelt. Es seien sämtliche Umstände des Einzelfalls maßgeblich und zu beachten.

Die Verletzung der Meldeobliegenheit nach § 38 I SGB III isoliert betrachtet, erfülle nicht das Merkmal des böswilligen Unterlassens nach § 11 Nr. 2 KSchG. Dennoch können die sozialrechtlichen Handlungspflichten des Arbeitnehmers bei der Auslegung des Begriffs der Böswilligkeit herangezogen und beachtet werden, denn dem Arbeitnehmer dürfe arbeitsrechtlich das zugemutet werden, was ihm das Gesetz ohnehin abverlangt.

Die Sache wurde zur erneuten Entscheidung an das Landesarbeitsgericht Niedersachsen zurückverwiesen.

Fazit

Mit der vorliegenden Entscheidung bleibt das BAG bei seiner sehr stark einzelfallbezogenen Rechtsprechung zum anderweitigen Verdienst im Annahmeverzug des Arbeitgebers.

Die Entscheidung zeigt aber erneut, dass Arbeitgeber nach verlorenen Kündigungsschutzprozess über § 615 S. 2 BGB unter Umständen erfolgreich Ansprüche auf Zahlung des Zwischenverdienst abwehren können. Dazu steht ihnen ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Arbeitnehmer zu, ob er sich arbeitslos gemeldet hat und ob er gegebenenfalls zumutbare Vermittlungsangebote abgelehnt hat (BAG, Urt. v. 27.5.2020 – 5 AZR 387/19).

Auch das Angebot einer Prozessbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz im Unternehmen oder in einem anderen Unternehmen im Konzern ist für den Arbeitgeber eine Möglichkeit, auf einen ungewissen Ausgang des Kündigungsschutzprozess zu reagieren.


zurück