BAG weicht Anhörung bei Verdachtskündigung auf

|| Arbeitsrecht

BAG, Urteil vom 25.04 2018, Az.: 2 AZR 611/17

Der Arbeitgeber muss bei der Anhörung zu einer Verdachtskündigung nicht ausdrücklich klarstellen, dass der Arbeitnehmer in dem dringenden Verdacht steht, eine vorwerfbare Handlung begangen zu haben

Einleitung

Der dringende Verdacht, der Arbeitnehmer könne eine strafbare Handlung oder schwerwiegende Pflichtverletzung begangen haben, kann nach ständiger Rechtsprechung des BAG, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung bilden (BAG 18.11.1999 NZA 2000, 418; 5.4.2001 NZA 2001, 837; 28.11.2007 NZA-RR 2008, 344; 12.3.2009 NZA-RR 2010, 180; 23.6.2009 NZA 2009, 1136). Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, ist ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (BAG 10.6.2010 NZA 2010, 1227 Rn. 30; 25.11.2010 NZA-RR 2012, 222).

Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um den Sachverhalt aufzuklären. Er ist insb. verpflichtet, den verdächtigen Arbeitnehmer anzuhören, um ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit erhalten, die Verdachtsgründe zu entkräften und Entlastungstatsachen anzuführen. Die Anhörung des Verdächtigen ist daher in aller Regel unbedingte Wirksamkeitsvoraussetzung einer Verdachtskündigung. Sie ist idR innerhalb einer Frist von einer Woche durchzuführen, um das Anlaufen der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu vermeiden.

Dem Arbeitnehmer ist im Vorfeld der Anhörung zu verdeutlichen, auf welchen Sachverhalt sich die Anhörung erstrecken soll. In der Literatur und in der Rechtsprechung werden unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, wie konkret die Information des Arbeitnehmers vor und bei der Anhörung erfolgen muss und insbesondere, ob er darauf hinzuweisen ist, dass ihm aufgrund eines bestimmten Verdachts die Kündigung droht. Des BAG beurteilt die Informationspflichten des Arbeitgebers in der hier dargestellten Entscheidung sehr zurückhaltend.

Sachverhalt

Eine Kassiererin in einer Sparkasse bestellte am 27.05.2017 Banknoten in einem Gesamtbetrag von 115.000,00 € bei der Deutschen Bundesbank. Am Folgetag quittierte sie den Empfang der Lieferung und die Unversehrtheit der Plombe und öffnete den Behälter anschließend allein. 20 Minuten später rief sie einen Kollegen herbei und sagte ihm, dass sich in dem Behälter lediglich Babynahrung und Waschmittel befänden. Die Plombe wies nach einem LKA-Gutachten keine Spuren einer Manipulation auf. Außerdem fand die Kriminalpolizei im Juni 2015 insgesamt 39.900 € bei der Kassiererin zu Hause und in ihrem Bankschließfach, ferner hatte die Kassiererin ab Juni 2015 ca. 33.000 € auf Konten von ihr und von Angehörigen eingezahlt. Eine von der Sparkasse am 28.05.2015 angeordnete Sonderprüfung kam am 04.04.2016 zu dem Ergebnis, dass sehr wahrscheinlich die Kassiererin die Geldlieferung entwendet habe.

Das Arbeitsverhältnis war nach § 34 Abs. 2 TVöD nicht mehr ordentlich kündbar. Nach Anhörung der Kassiererin kündigte die Sparkasse am 19.04.2016 außerordentlich auch wegen Verdachts.
Die Kündigungsschutzklage der Kassiererin war in beiden Instanzen erfolgreich.

Entscheidung

Die Revision der Sparkasse führte zur Zurückverweisung. Wenn die Sparkasse -so wie sie behauptet- die Kassiererin in der Anhörung auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen hingewiesen habe, sei die Anhörung zur Verdachtskündigung wirksam.

Es komme nicht darauf an, ob der Arbeitgeber bereits einen (dringenden) Verdacht bezüglich des aufzuklärenden Sachverhalts gegen den Arbeitnehmer habe und ihm diesen im Rahmen der Anhörung mitteile. Der Arbeitnehmer müsse nur erkennen können, welchen Sachverhalt der Arbeitgeber für aufklärungsbedürftig halte, dass seine Verantwortung vom Arbeitgeber in Erwägung gezogen werde und ihm daher Gelegenheit gegeben werde, zu den aufklärungsbedürftigen Geschehnissen und Verdachtsmomenten Stellung zu nehmen. Das könne sich aber auch aus den Umständen der Anhörung ergeben.

Der Kassiererin habe aufgrund der Begleitumstände und dem Hinweis auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen klar sein müssen, dass der Verdacht der Veruntreuung zumindest auch gegen sie bestehe, ohne dass die Sparkasse ihr diesen Verdacht in der Anhörung ausdrücklich mitteilen musste. Zum Verhalten bei Öffnen des Behälters sei die Kassiererin nicht erneut anzuhören gewesen, da sie sich dazu schon 2015 durch Anwaltsschreiben geäußert habe. Zum Ergebnis des LKA-Gutachtens war sie gleichfalls nicht zu befragen, da dies nicht Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung war.

Fazit

Die Entscheidung justiert die Anforderungen, die an eine wirksame Anhörung zu einer Verdachtskündigung zu stellen sind, neu. Eine vielfach angenommene umfassende Mitteilungspflicht des Arbeitgebers zu allen wesentlichen Verdachtsmomenten, um dem Arbeitnehmer möglichst wirkungsvoll Gelegenheit zu seiner Verteidigung zu geben, besteht nicht. Gegenstand der Anhörung ist die Aufklärung des Sachverhaltes durch den Arbeitgeber. Der Arbeitgeber muss daher im Zeitpunkt der Anhörung weder einen dringenden Verdacht gegen den Arbeitnehmer haben noch darauf hinweisen. Folgerichtig muss er auch nicht über eine Kündigungsabsicht unterrichten. Soweit der Arbeitnehmer sich zu einem früheren Zeitpunkt zu einzelnen Fragen des Sachverhalts geäußert hat oder dazu separat befragt wurde, muss er nicht nochmals angehört werden. Anderweitig gewonnene Ermittlungsergebnisse des Arbeitgebers, die nicht Gegenstand seiner Wahrnehmung sind, müssen ihm nicht zur Kenntnis gebracht werden, auch wenn sie den Verdacht verstärken.


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