Betriebsübergang Verwirkung des Widerspruchsrechts nach § 613 a VI BGB

|| Arbeitsrecht

BAG, Urteil vom 22.7.2021 – 2 AZR 6/21

Einleitung

§ 613a Abs. 4 BGB sieht eine Frist von einem Monat für den Widerspruch des Arbeitnehmers gegen einen Betriebsübergang vor. Die Frist beginnt mit dem Zugang der Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB beim betroffenen Arbeitnehmer. Nur eine formgerechte und vollständige Information nach den gesetzlichen Vorgaben setzt den Lauf der Widerspruchsfrist in Gang. Widerspricht der Arbeitnehmer, ist das Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsveräußerer fortzusetzen. Der Unterrichtung kommt deshalb große Bedeutung zu. Eine absolute Höchstfrist zur Ausübung des Widerspruchs ab dem Zeitpunkt. des Betriebsübergangs ist nicht vorgesehen.

Das aus dem Widerspruch folgende Recht des Arbeitnehmers auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem alten Arbeitgeber kann gem. § 242 BGB verwirken. Sofern der Arbeitnehmer dem Betriebsübergang wirksam widersprochen hat und gleichwohl seine Arbeit bei dem Betriebserwerber kommentarlos aufnimmt, mithin das Arbeitsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber unverändert fortsetzt, kann er sich zumindest nach Ablauf von mehr als drei Monaten nicht mehr auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem alten Arbeitgeber (Betriebsveräußerer) berufen. In einem solchen Falle handelt er treuwidrig und rechtsmissbräuchlich.

Sachverhalt

Der Arbeitgeber (Betriebsveräußerer) übertrug im Jahr 2011 einen Teilbetrieb auf die P GmbH & Co. KG (P), mit der Folge eines Betriebsübergangs. Der Arbeitnehmer widersprach im Juni 2019 dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf P. Die Parteien streiten über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. In einem Überleitungstarifvertrag (ÜTV) vereinbarten die Tarifvertragsparteien 2011 zugunsten der vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer ein Rückkehrrecht zum Betriebsveräußerer, für den Fall, dass P das Arbeitsverhältnis bis Ende 2015 betriebsbedingt kündigt.
Der Arbeitnehmer ist der Ansicht, sein Arbeitsverhältnis bestehe weiterhin mit dem Betriebsveräußerer. Er habe dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf P wirksam widersprochen. Nach Ansicht des Betriebsveräußerers habe der Arbeitnehmer sein Widerspruchsrecht verwirkt, da er es erst mehr als acht Jahre nach dem Betriebsübergang ausgeübt hat.

Die Vorinstanzen haben die Klage des Arbeitnehmers abgewiesen.

Entscheidung

Die Revision des Arbeitnehmers blieb auch vor dem BAG ohne Erfolg.

Das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers nach § 613a Abs. 4 BGB könne nur unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgeübt und deshalb verwirkt werden.
Ein durch Tarifvertrag befristet eingeräumtes Rückkehrrecht zum bisherigen Arbeitgeber für den Fall der betriebsbedingten Kündigung durch den neuen Betriebsinhaber habe keinen Einfluss auf die Verwirkung des Widerspruchsrechts nach § 613 a Abs. 4 BGB.

Das ursprünglich mit dem Betriebsveräußerer bestehende Arbeitsverhältnis sei aufgrund eines Betriebsübergangs auf P übergegangen. Dem Arbeitnehmer stünde grundsätzlich ein Widerspruchsrecht gemäß § 613a Abs. 4 S. 1 BGB zu. Die Monatsfrist für die Erklärung des Widerspruchs sei mangels ordnungsgemäßer Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB noch nicht angelaufen.

Das Widerspruchsrecht sei allerdings im Zeitpunkt seiner Ausübung im Juni 2019 bereits verwirkt. Die Verwirkung sei ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB), mit der die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen werde. Eine Verwirkung beurteile sich nach einem Zeitmoment und einem Umstandsmoment. Bezogen auf die Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 613a Abs. 5 BGB gelte, dass die Anforderungen an das Umstandsmoment umso geringer seien, je mehr Zeit seit dem Betriebsübergang verstrichen sei und je länger der Arbeitnehmer bereits für den Betriebserwerber gearbeitet habe. Bereits nach der bisherigen Rspr. des BAG könne sich der Widerspruch bei einer Unterrichtung über die „grundlegenden Informationen“ zum Betriebsübergang und einer widerspruchslosen Weiterarbeit des Arbeitnehmers beim Erwerber über einen Zeitraum von sieben Jahren allein aufgrund des Zeitablaufs als mit Treu und Glauben unvereinbar erweisen. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Betriebsveräußerers im vorliegenden Fall das Interesse des Arbeitnehmers an einer Ausübung des Widerspruchsrechts überwiegt, sei daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Auch die Regelung im Tarifvertrag ändere nichts an der Verwirkung des Widerspruchsrechts. Das Rückkehrrecht wirke sich nicht auf das Umstandsmoment aus. Zwischen dem bei einer betriebsbedingten Kündigung durch P bestehenden Rückkehrrecht und dem Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 4 BGB bestehe kein Zusammenhang. Das tarifliche Rückkehrrecht gelte nur bei Vorliegen besonderer Gründe, während die Ausübung des Widerspruchsrechts an keine normierten Bedingungen geknüpft sei. Rechtsfolge des Rückkehrrechts wäre eine Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebsveräußerer, während ein wirksamer Widerspruch das „alte“ Arbeitsverhältnis ex tunc weiterbestehen ließe. Im Übrigen spreche gegen ein „Hinausschieben“ des Zeitmoments aufgrund des Rückkehrrechts, dass der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auch schon während der Dauer des Rückkehrrechts begründungslos hätte widersprechen können.

Fazit

Auch wenn das BAG die Möglichkeit der Verwirkung des Widerspruchsrechts mit dieser Entscheidung bestätigt, besteht weiterhin Unsicherheit darüber, wie lange Arbeitnehmer einem Übergang des Arbeitsverhältnisses aufgrund Betriebsübergangs bei fehlerhafter Unterrichtung wirksam widersprechen können. Der zweite Senat deutet nun zumindest einen Richtungswechsel an. Der Senat erwägt, dass jedenfalls Fehler im Unterrichtungsschreiben, die „regelmäßig für den Willensbildungsprozess der Arbeitnehmer ohne Belang sind“, das Anlaufen der einmonatigen Widerspruchsfrist nicht verhindern sollen.

Es bleibt dabei, dass der Gestaltung des Unterrichtungsschreibens bei Planung und Durchführung eines Betriebsübergangs mit der Information der Arbeitnehmer über den Betriebserwerber sowie die Rechtsfolgen des Betriebsübergangs größte Aufmerksamkeit gewidmet werden muss.


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