Darlegungs- und Beweislast bei Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

|| Arbeitsrecht

LAG Niedersachsen, Urteil vom 26.09.2018, Az.:7 Sa 336/18

1. Die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) trifft den Arbeitnehmer.

2. Macht der Arbeitnehmer bei wiederholter Arbeitsunfähigkeit einen Entgeltfortzahlungsanspruch aufgrund neuer Erkrankung geltend, trifft ihn auch die Darlegungs- und Beweislast für das Ende der vorangegangenen Arbeitsunfähigkeit.

Einleitung

Arbeitnehmer haben für die Dauer einer Erkrankung Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber längstens für die Dauer von sechs Wochen. Jede neue Erkrankung, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, begründet den Anspruch jeweils für die Dauer von bis zu sechs Wochen jedoch neu. Eine andere Erkrankung liegt im Gegensatz zur fortgesetzten Krankheit vor, wenn sie eine andere Ursache hat und nicht auf demselben Grundleiden beruht. Bei einer weiteren anderen Erkrankung, die während einer bereits bestehenden Arbeitsunfähigkeit hinzukommt, wendet das BAG in ständiger Rspr. den Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalles an. Danach entsteht kein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn zu einer bereits bestehenden Krankheit eine neue Krankheit hinzutritt, auch wenn sie auf einer anderen Krankheitsursache beruht.

Wird der Arbeitnehmer hingegen nach Ablauf der ersten Arbeitsunfähigkeit im unmittelbaren Anschluss, wegen einer anderen Erkrankung erneut arbeitsunfähig (z.B. Unfall auf dem Heimweg vom Arzt), beginnt ein neuer Sechswochenzeitraum, in dem er erneut Anspruch auf Entgeltfortzahlung erwirbt. Das führt zu dem Phänomen, dass viele Krankheiten mit Ablauf der Woche an einem Freitag enden und eine neue Krankheit mit anderer Diagnose am darauffolgenden Montag beginnt. Der Umstand, dass über das Wochenende keine Arbeitsverpflichtung bestand schließt den Neubeginn einer Erkrankung nicht aus. Für die Durchsetzbarkeit eines Entgeltfortzahlungsanspruchs in diesen Fällen ist von entscheidender Bedeutung, was der Arbeitnehmer zur Begründung des Neubeginns im Prozess vortragen muss.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Arbeitnehmerin war vom 07.02.2017 bis zum 18.05.2017 wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig. Am 19.05.2017 musste sie sich einer Operation unterziehen, die zu einer Arbeitsunfähigkeit bis zum 30.06.2017 führte. Zwischen den Parteien bestand Streit darüber, ob die psychische Erkrankung auch über den 18.5.2017 hinaus zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat. Die Arbeitnehmerin wartete zum Zeitpunkt der Operation bereits auf einen Platz zur Psychotherapie, wo sie sich dann ab Juli 2017 auch befand. Bereits seit dem 15.03.2017 nahm sie verschriebene Medikamente aufgrund der psychischen Krankheit ein, die ihr auch über den Juli 2017 weiter verschrieben wurden.

Die Parteien streiten um die Entgeltfortzahlung ab dem 19.05.2017. Die Arbeitnehmerin hat geltend gemacht, sie sei ab dem 19.05.2017 aufgrund einer neuen Krankheit arbeitsunfähig gewesen. Die Arbeitsunfähigkeit wegen der psychischen Erkrankung sei am 18.05.2017 beendet gewesen. Der Arbeitgeber hat sich demgegenüber auf die Einheit des Verhinderungsfalls berufen und behauptet, die Arbeitnehmerin sei über den 18.05.2017 hinaus wegen der psychischen Erkrankung arbeitsunfähig gewesen.

Entscheidung

Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass im Zweifel die Arbeitsunfähigkeit am Ende des in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angegebenen Kalendertages ende.

Das LAG hat die Klage abgewiesen und einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit ab dem 19.05.2017 abgelehnt. Es verweist auf den anerkannten Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles, wonach der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt sei, wenn während bestehender Krankheit eine neue Krankheit auftritt. Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entstehe nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führe. Dies sei nur dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet habe oder jedenfalls arbeitsfähig gewesen sei, sei es auch nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden. Das LAG führt weiter aus, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz – nach allgemeinen Grundsätzen – der Arbeitnehmer trage. Ebenso wie er für die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit als solcher beweispflichtig sei, treffe ihn auch für deren Beginn und Ende die objektive Beweislast.

Das LAG begründet seine Entscheidung damit, dass die psychische Erkrankung der Arbeitnehmerin unstreitig ab dem 07.02.2017 bestand und dann über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten angedauert habe. Unter Würdigung von Zeugenaussagen, der behandelnden Ärzte, kam das Gericht weiter zu dem Ergebnis, dass die psychische Erkrankung auch über den 18.05.2017 hinaus bestanden habe. Das Gericht berücksichtigte hierbei, dass die Arbeitnehmerin im Zeitpunkt der Operation bereits auf einen Platz zur Psychotherapie wartete. Die Arbeitnehmerin konnte damit nach Auffassung des Gerichts nicht beweisen, dass die Arbeitsunfähigkeit wegen der psychischen Erkrankung am 18.05.2017 beendet war.

Fazit

Die Entscheidung liegt auf der Linie des Bundesarbeitsgerichts. Die darin wiedergegebenen Grundsätze sind daher nicht neu. Sie erinnert aber daran, dass das Wort „Erstbescheinigung“ auf einer neuen AU nicht zwangsläufig bedeutet, dass ein neuer Sechswochenzeitraum beginnt. Den Arbeitnehmer trifft die Beweislast für die Widerlegung des Grundsatzes der Einheit des Verhinderungsfalles. Dazu kann er sich allerdings zunächst auf die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützen. Bringt der Arbeitgeber jedoch hinreichende Indizien dafür vor, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einer Krankheit beruht, die bereits vor dem ärztlich attestierten Beginn der Arbeitsunfähigkeit bestanden hat, und zu einer Krankheit, wegen derer der Arbeitnehmer bereits arbeitsunfähig war, hinzugetreten ist, muss der Arbeitnehmer den Beginn der „neuen“ krankheitsbedingten Verhinderung z. B. durch das Zeugnis des behandelnden Arztes beweisen.

Stammt die neue Erstbescheinigung von einem anderen Arzt, liegen meines Erachtens Anhaltspunkte für die berechtigte Frage vor, ob die Krankheit, die zuvor nach dem Urteil eines anderen Arztes Arbeitsunfähigkeit begründet hatte, tatsächlich ausgeheilt war. Der Arzt bescheinigt aufgrund der von ihm erstellten Diagnose in seiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich nur die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit, da er den Verlauf der Krankheit im Voraus nicht abschätzen kann. Der neue Arzt kennt in der Regel weder die zuvor gestellte Diagnose noch beurteilt er den Patienten dahingehend, ob die frühere Arbeitsunfähigkeit fortbesteht und die von ihm diagnostizierte hinzutritt oder neu eingetreten ist.


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