Ein wörtliches Angebot der Arbeitsleistung genügt zur Begründung eines Annahmeverzuges grundsätzlich nicht

|| Arbeitsrecht

LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 01.03.2018, Az.: 5 Sa 399/17

Einleitung

Der Arbeitgeber kommt nach § 297 BGB nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außer Stande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken. Die Leistungsfähigkeit ist - neben dem Leistungswillen - eine vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen muss. Unerheblich ist dabei die Ursache für die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Weigert sich der Arbeitgeber aus gesundheitlichen Gründen, den Arbeitnehmer auf seinem Arbeitsplatz einzusetzen, kommt es bei einer verminderten aber noch gegebenen Leistungsfähigkeit entscheidend darauf an, wie der Arbeitnehmer die Arbeit angeboten hat und ob der Arbeitgeber die Annahme der Arbeitsleistung generell und/oder nur zeitweise abgelehnt hat.

Sachverhalt

Der Arbeitgeber betreibt mit ca. 200 Arbeitnehmern ein Food - Warenumschlagslager. Ein seit dem 01.06.2007 beschäftigter, im April 1955 geborener, als schwerbehindert anerkannter Staplerfahrer macht Vergütungsansprüche gegen den Arbeitgeber mit der Begründung geltend, er habe trotz seiner unstreitig bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen im Betrieb eingesetzt werden können. Der Mitarbeiter leidet seit Jahren an einer chronischen Diabeteserkrankung (insulinpflichtige Diabetes mellitus Typ-2). Unstreitig kann er seit einem Schlaganfall am 20.03.2016 keine Flurförderfahrzeuge mehr steuern.
Aufgrund der Diabeteserkrankung bestand seit 14.10.2013 Arbeitsunfähigkeit. Nach Ablauf der Entgeltfortzahlung bezog der Mitarbeiter bis zum 13.04.2015 Krankengeld, ab dem 14.04.2015 Arbeitslosengeld. Am 20.03.2015 fand ein Gespräch im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) statt. Ausweislich des Protokolls erklärte der Staplerfahrer in diesem Gespräch, dass er gesundheitlich in der Lage sei, zunächst einschichtig seine Arbeitsleistung als Staplerfahrer zu erbringen. Mit Schreiben vom 30.04.2015 teilte die Bundesagentur für Arbeit dem Mitarbeiter mit, ihr ärztlicher Dienst habe festgestellt, dass er nicht mehr leistungsgemindert sei und wieder vollschichtig arbeiten könne. Er solle sich umgehend mit seinem Arbeitgeber in Verbindung setzen. Der Arbeitgeber lehnte die Beschäftigung mit der Begründung ab, er sei nach Einschätzung ihres Betriebsarztes Dr. P. vom 06.05.2015 auf unabsehbare Zeit nicht für Arbeiten geeignet, die mit dem Bedienen und Fahren von Flurförderfahrzeugen verbunden seien.

Entscheidung

Unbeschadet der sonstigen Voraussetzungen komme der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außer Stande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken. Die Leistungsfähigkeit ist - neben dem Leistungswillen - eine vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen muss. Unerheblich ist dabei die Ursache für die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers
Nach § 293 BGB komme der Arbeitgeber in Annahmeverzug, wenn er im erfüllbaren Arbeitsverhältnis die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis müsse der Arbeitnehmer die Leistung tatsächlich anbieten, § 294 BGB. Ein wörtliches Angebot (§ 295 BGB) genüge nur, wenn der Arbeitgeber ihm erklärt habe, er werde die Leistung nicht annehmen oder sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in einem die tatsächliche Heranziehung übersteigenden Umfang zu beschäftigen. Dabei sei die Arbeitsleistung so anzubieten, wie sie zu bewirken ist, also am rechten Ort, zur rechten Zeit und in der rechten Art und Weise entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen bzw. deren Konkretisierung kraft Weisung nach § 106 Satz 1 GewO.
Tatsächlich angeboten habe der Mitarbeiter seine Arbeitsleistung am 01.08.2015 oder später unstreitig nicht. Das von § 294 BGB verlangte tatsächliche Angebot sei ein Realakt. Das bedeute, dass der Arbeitnehmer sich am Arbeitsort oder am Arbeitsplatz einfinden müsse, um mit der Arbeitsleistung zu beginnen.
Ein Angebot der Arbeitsleistung könne nach der Rechtsprechung ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn offenkundig ist, dass der Arbeitgeber auf seiner Weigerung, die geschuldete Leistung anzunehmen, beharrt (vgl. BAG 21.10.2015 - 5 AZR 843/14 - Rn. 19 mwN). Ein derartiger Ausnahmefall liege hier aber nicht vor.
Dass der Arbeitgeber unter keinen Umständen bereit gewesen wäre, den Kläger nach der Diabetesschulung als Staplerfahrer zu beschäftigen, lasse sich nicht feststellen.
Ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn nach § 615 Satz 1 BGB - ohne Arbeitsangebot - lasse sich nicht damit begründen, dass der Arbeitgeber aufgrund der damaligen Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen aus Fürsorgegesichtspunkten bzw. aus § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX aF. (§ 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX nF.) verpflichtet gewesen sei, ihn zu geänderten Arbeitszeiten als Staplerfahrer zu beschäftigen. Nachdem die Beklagte das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX aF. (§ 167 SGB IX nF.) am 20.03.2015 durchgeführt hat, hätte der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung am 01.08.2015 zumindest wörtlich anbieten müssen. Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Neubestimmung der Tätigkeit setzt u.a. voraus, dass der Arbeitnehmer die Umsetzung auf einen "leidesgerechten" Arbeitsplatz verlangt. Der Arbeitnehmer übersehe, dass die Arbeitsleistung - auch wenn der Arbeitnehmer nicht mehr alle an sich geschuldeten Tätigkeiten vollumfänglich auszuführen kann - dem Arbeitgeber angeboten werden muss (vgl. BAG 09.04.2014 - 10 AZR 637/13 - Rn. 37).

Fazit

Die äußerst praxisrelevante Entscheidung verdeutlicht wieder einmal, dass im ungekündigten Arbeitsverhältnis nur das nachweisbare Erscheinen des Arbeitnehmers zur Arbeitsaufnahme am Arbeitsplatz den Annahmeverzug des Arbeitgebers und damit seine Vergütungspflicht rechtsicher begründen kann, sofern die Annahme der Beschäftigung durch den Arbeitgeber nicht völlig zweifelsfrei verweigert wurde. Vielen Arbeitnehmern fällt die Einsicht in diese Notwendigkeit schwer.


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