Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall - gesetzlicher Mindestlohn - Ausschlussfristen

|| Arbeitsrecht

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2018 - 5 AZR 377/17

Einleitung

Um die Zielsetzungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) nicht zu gefährden, sichert § 12 EFZG die im EFZG enthaltenen gesetzlichen Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen als Mindeststandard.
Vom EFZG abweichende nicht gesetzliche Regelungen sind nur zulässig, soweit sie von den im Gesetz selbst enthaltenen Öffnungsklauseln (§§ 4 Abs. 4, 10 Abs. 4 EFZG) gedeckt oder für den Arbeitnehmer günstiger sind. Von diesen Vorgaben darf grundsätzlich weder einzel- noch kollektivvertraglich zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden. Von § 12 EFZG werden alle individual- sowie kollektivrechtlichen Regelungen erfasst, unabhängig davon, ob sie bereits das Entstehen des Anspruchs verhindern, ihn lediglich beschränken oder einen entstandenen Anspruch beseitigen. Regelungen, die sich in dieser Weise beeinträchtigend auf die gesetzlichen Ansprüche des EFZG auswirken, sind insoweit unwirksam (§ 134 BGB). Dies gilt auch für Umgehungstatbestände, die den Erfolg entgeltfortzahlungsrechtlicher Schutznormen nicht eintreten lassen.
In dem jetzt vom BAG entschiedenen Fall geht es um die Frage, ob die Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes dadurch berührt werden können, dass Ansprüche kraft einer tariflichen Ausschlussfrist nach Ablauf bestimmter Fristen erlöschen (Ausschlussfrist). Das BAG hatte sich dazu bereits im Jahre 2001 im Sinne einer Wirksamkeit tarifvertragliche Ausschlussfristen auch für Ansprüche nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz geäußert. Der gesetzliche Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall ist der während der Arbeitsunfähigkeit aufrecht erhaltene Vergütungsanspruch und teilt dessen rechtliches Schicksal.
Wenn die Tarifvertragsparteien den Vergütungsanspruch tariflich geregelt haben, handele es sich bei der tariflich vorgesehenen Verpflichtung zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts ebenfalls um einen tariflichen Anspruch, der ebenso wie der Vergütungsanspruch einer tariflichen Ausschlussklausel unterliege. Die Besonderheit des aktuellen Falles ist nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes, ob tarifvertragliche Ausschlussfristen auch mit Rücksicht auf das Mindestlohngesetz wirksam sind und wenn ja, ob nach der Ausschlussfrist verfallene Ansprüche auf Entgeltfortzahlung in Höhe des Mindestlohns zu erfüllen sind.

Sachverhalt

Der Arbeitnehmer war seit dem Jahre 2012 bei einem Bauunternehmen gewerbliche beschäftigt. Sein Stundenlohn betrug zuletzt 13,00 Euro brutto. Mit Schreiben vom 17.09.2015 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.10.2015. Nach Erhalt der Kündigung meldete sich der Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank und legte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Während der Arbeitnehmer für den Monat September 2015 Vergütung erhielt, verweigerte der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung für den Folgemonat. Mit einem am 18.01.2016 zugestellten Schriftsatz hat der Arbeitnehmer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Monat Oktober 2015 verlangt. Er sei in diesem Zeitraum arbeitsunfähig krank gewesen und meint, sein Anspruch sei nicht verfallen. Die Ausschlussfristenregelung des für allgemeinverbindlich erklärten § 14 Abs. 1 BRTV-Bau, wonach - zusammengefasst formuliert - alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden, sei insgesamt unwirksam, weil sie den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnehme.

Entscheidung

Der Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers für die Zeit seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit folge aus § 3 Abs. 1 iVm. § 4 Abs. 1 EFZG. Danach habe der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Zeit, die infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ausfällt, das Entgelt zu zahlen, das er ohne den Arbeitsausfall bei Erbringung der Arbeitsleistung erhalten hätte. Damit habe der Arbeitnehmer auch während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Der Anspruch folge jedoch nicht unmittelbar aus § 1 MiLoG, weil nach dieser Bestimmung der Mindestlohn nur für tatsächlich geleistete Arbeit zu entrichten ist. Da der Arbeitnehmer im Falle der Arbeitsunfähigkeit jedoch so zu stellen sei, als hätte er gearbeitet, bliebe ihm auch der Mindestlohn als untere Grenze des fortzuzahlenden Entgelts erhalten. Zugleich gebiete es der Schutzzweck des § 3 Satz 1 MiLoG, nach Maßgabe dieser Norm den Entgeltfortzahlungsanspruch in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns entsprechend zu sichern. Das habe zur Folge, dass Vereinbarungen, welche die Geltendmachung des fortzuzahlenden Mindestlohns iSd. § 3 Satz 1 MiLoG beschränken, insoweit unwirksam seien. Zu solchen Vereinbarungen gehörten nicht nur arbeitsvertragliche, sondern auch tarifliche Ausschlussfristen. Anders als bei Ausschlussfristen, die arbeitsvertraglich in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart sind, unterliegen Tarifregelungen gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB indes keiner Transparenzkontrolle.

Fazit

Über die Wirksamkeit einer vertraglichen Ausschlussfristenregelung, die Ansprüche nach dem Mindestlohngesetz nicht ausdrücklich ausnimmt, musste das BAG nicht entscheiden. Die Landesarbeitsgerichte sind unterschiedlicher Auffassung, ob das Fehlen der Ausnahme für Ansprüche nach dem Mindestlohngesetz die gesamte Ausschlussfristen-Regelung unwirksam macht. Arbeitgeber, die sichergehen möchten, sollten ihre Arbeitsverträge mit den Ausschlussfristen anpassen und neben der Formvorschrift Textform statt Schriftform die Ansprüche nach dem Mindestlohngesetz ausdrücklich ausnehmen.


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