Erhöhung eines übertariflichen Entgeltbestandteils aufgrund betrieblicher Übung

|| Arbeitsrecht

BAG, Urteil vom 19.09.2018, Az.: 5 AZR 439/17

Beschränkt der Arbeitgeber Entgelterhöhungen nicht auf den Arbeitsverdienst, den er durch die arbeitsvertragliche Inbezugnahme eines Tarifvertrags zu zahlen verpflichtet ist, sondern erhöht er zugleich den zusätzlich gewährten übertariflichen Entgeltbestandteil in gleicher Weise wie den tariflichen, kommt es für das Entstehen einer betrieblichen Übung in Bezug auf den übertariflichen Vergütungsanteil allein darauf an, wie die Arbeitnehmer das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen mussten und durften. (amtl. Leitsatz)

Einleitung

Nach der stRspr des BAG kann der Arbeitgeber übertarifliche Zulagen im Falle einer Tariflohnerhöhung grundsätzlich (auch rückwirkend) auf das Tarifentgelt anrechnen, es sei denn, dem Arbeitnehmer wäre die Zulage vertraglich als selbständiger Entgeltbestandteil neben dem Tarifentgelt zugesagt. Eine darauf gerichtete Zusage kann auch stillschweigend erfolgen oder sich aus einer betrieblichen Übung ergeben. Allein die Angabe „übertarifliche Zulage“ stellt keine Zusage eines selbständigen Entgeltbestandteils dar. Die Zusage der übertariflichen Zulage kann auch vorsehen, dass die Anrechnung allein hinsichtlich zukünftig wirksam werdender Tariflohnerhöhungen erfolgen soll. Eine langjährige vorbehaltlose Zahlung oder das Unterbleiben von Anrechnungen bei Tariflohnerhöhungen kann nicht für sich allein eine betriebliche Übung begründen, nach der die Zulage anrechnungsfest wäre. Das folgt aus dem Zweck einer neben dem Tarifentgelt gezahlten Zulage. Eine solche Zulage greift künftigen Tariflohnerhöhungen vor. Die Anrechnungsbefugnis folgt regelmäßig daraus, dass die Tarifverträge im Allgemeinen branchenbezogen abgeschlossen werden und auf die konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse einzelner Betriebe nicht eingehen. Es ist daher für den Arbeitgeber regelmäßig nicht absehbar, ob er bei künftigen Tariflohnerhöhungen aus wirtschaftlichen Gründen weiterhin in der Lage sein wird, eine bisher gewährte Zulage in unveränderter Höhe fortzuzahlen.

Sachverhalt

Ein bei einer Bank bzw. deren Rechtsvorgängerin seit 1989 beschäftigter Arbeitnehmer macht gegen seinen Arbeitgeber Ansprüche auf fünf Vergütungsdifferenzen geltend, die er nach Anrechnung der tariflichen Lohnerhöhung auf einen übertariflichen Gehaltsbestandteile erlitten hat.

Laut Arbeitsvertrag findet auf das Arbeitsverhältnis der Bankentarifvertrag Anwendung. Die Bank ergänzt das tarifliche Eingruppierungssystem „seit jeher“ als „Haustarif“ um eine weitere sog. übertarifliche Steigerungsstufe ab dem 11. Berufsjahr. Mit Schreiben vom 30.12.1996 wurde dem Angestellten mitgeteilt, dass er in der für ihn geltenden Tarifgruppe 6 diese übertarifliche Stufe erreicht habe. Bei der „Überleitung“ der Arbeitsverhältnisse von einem Eigenbetrieb auf eine Anstalt des öffentlichen Rechts im Jahr 2009 teilte der damalige Vorstandsvorsitzende per E-Mail mit, allen Mitarbeitern eine dynamische Bestandswahrung zu geben und künftige Änderungen des Bankentarifvertrags zur Anwendung zu bringen. Bis zum Jahr 2016 erhöhte die Bank die Gesamtgehälter der Beschäftigten, d. h. einschließlich der übertariflichen Stufe, stets entsprechend den Tariferhöhungen im Bankgewerbe. Erstmals bei der Tariferhöhung 2014 wies sie darauf hin, dass kein Anspruch auf eine Erhöhung des übertariflichen Teils des Gehalts bestehe. Zur Tariflohnerhöhung ab dem 01.10.2016 teilte sie dem Angestellten mit, dass die Lohnerhöhung „vollständig auf den übertariflichen Anteil der übertariflichen Gehälter anzurechnen“ sei.

ArbG und LAG wiesen die Klage ab.

Entscheidung

Die Revision des Angestellten hatte Erfolg. Er habe Anspruch auf Erhöhung des übertariflichen Entgeltbestandteils entsprechend dem Bankentarifvertrag. Dieser sei durch den Arbeitsvertrag dynamisch in Bezug genommen. Der Anspruch auf Erhöhung des tatsächlich zustehenden Gehalts und nicht nur eines „tariflichen Anteils“ ergebe sich aus betrieblicher Übung. Darunter sei die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen könnten, dass ihnen eine solche Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Eine betriebliche Übung könne sich auch auf übertarifliche Leistung oder übertarifliche Anteile einer einheitlichen Leistung beziehen. Es sei unerheblich, ob der betreffende Arbeitnehmer selbst schon bisher in die Übung einbezogen sei. Das Vertragsangebot des Arbeitgebers sei regelmäßig so zu verstehen, dass er alle Arbeitnehmer zu den im Betrieb üblichen Bedingungen beschäftigen wolle. Das BAG mache in stRspr. eine Ausnahme von diesem Grundsatz, wenn der Arbeitgeber die Entgelte der Beschäftigten entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet freiwillig anhebe. Denn aus der fehlenden Tarifgebundenheit des Arbeitgebers folge für die Arbeitnehmer erkennbar der Wille des Arbeitgebers, die Erhöhungen der Löhne und Gehälter zukünftig nicht ohne Beitrittsprüfung entsprechend der Tarifentwicklung vorzunehmen. Vorliegend ergebe sich aus dem Verhalten der Beklagten jedoch, dass sich diese gegenüber den Arbeitnehmern vertraglich binden wolle. Hierfür spreche, dass sie ein eigenes betriebliches Entgeltsystem mit einer ergänzenden „Steigerungsstufe“ zum tariflichen Eingruppierungssystem entwickelt und seit jeher zur Anwendung gebracht habe.

Fazit

Bislang war das BAG sehr zurückhaltend in der Annahme eines Verpflichtungswillens des nicht tarifgebundenen Arbeitgebers, wenn dieser in der Vergangenheit freiwillig die Entgelte entsprechend den Tariferhöhungen seiner Branche steigerte. Die Besonderheit dieses Falles liegt darin, dass der Arbeitgeber den arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag um eine weitere Entgeltstufe erweitert hat. Es erscheint nachvollziehbar, dass ein Verhalten, in dem Lohnerhöhungen anrechnungsfrei auch auf das Entgelt nach der erweiterten Entgeltstufe gezahlt werden, dahingehend verstanden werden muss, dass das erweiterte Tarifentgelt ebenso wie das Tarifentgelt zu behandeln ist.


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