Kein „Verwässerungsausgleich“ für dividendenabhängige Tantieme bei effektiven Kapitalerhöhungen

|| Arbeitsrecht

BAG, Urteil vom 27.6.2018 – 10 AZR 295/17

Einleitung

Grundsätzlich gibt es zwei Formen effektiver Kapitalerhöhungen. Einmal durch Bezugsrechtsimmissionen, bei denen Altaktionäre Bezugsrechte auf eine Beteiligung an der Kapitalerhöhung (also den Kauf neuer, zusätzlicher Aktien) erhalten. Dadurch können die Altaktionäre ihre prozentuale Beteiligung an der Aktiengesellschaft auf gleichem Stand halten und unterliegen nicht dem Verwässerungseffekt. Und zum anderen Kapitalerhöhungen unter Ausschluss des Bezugsrechts. Daneben gibt es die nominellen Kapitalerhöhungen. Sie werden aus Gesellschaftsmitteln bestritten und sind deshalb Innenfinanzierungen.
§ 216 Abs. 3 S. 1 AktG passt den materiellen Inhalt von Verträgen, die zwischen der Aktiengesellschaft und Dritten geschlossen worden sind und die auf die Gewinnausschüttung der Gesellschaft, den Nennbetrag oder Wert ihrer Aktien oder ihres Grundkapitals oder sonstige Kapital oder Gewinnverhältnisse Bezug nehmen, an die Verhältnisse an, die durch die Erhöhung des Grundkapitals aus Gesellschaftsmitteln entstanden sind
Wird das Grundkapital einer Aktiengesellschaft bei gleichzeitiger Ausgabe von Gratisaktien an die Aktionäre aus Eigenmitteln erhöht und dadurch die auf eine Aktie entfallende Dividende vermindert, kann ein Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des BAG, dessen Erfolgsbeteiligung an die Höhe der Dividende pro Aktie anknüpft, einen Anspruch auf eine entsprechende Erhöhung der Erfolgsbeteiligung haben (BAG 10. Senat , Urteil vom 12.10.2005 - 10 AZR 410/04).

Sachverhalt

Der Arbeitnehmer arbeitete von 1963 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahre 2011 bei einer Großbank in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Sie sagte ihrem Mitarbeiter ab 1991 eine Tantieme zu, deren Höhe u. a. von der Dividende abhängig war, die pro ausgegebene Aktie gezahlt wurde. Die Tantiemebedingungen wurden zuletzt im Jahre 1999 geändert. Von 1999 bis 2010 erhöhte sich die Anzahl der ausgegebenen Aktien im Rahmen sog. effektiver Kapitalerhöhungen um 74,4 %. Dadurch erhöhte sich das gezeichnete Kapital entsprechend. Für das Geschäftsjahr 2010 zahlte die Bank an den Mitarbeiter eine dividendenabhängige Tantieme i.H.v. 31.146,00 EUR brutto.
Der Bankangestellte ist der Auffassung, dass die dividendenabhängige Tantieme für 2010 um 74,4 % zu erhöhen sei, da sich seit der letzten Modifikation der Tantiemezusage im Jahre 1999 die Anzahl der Aktien in diesem Umfang erhöht habe. Dieser Verwässerungsausgleich stehe ihm in analoger Anwendung des für nominelle Kapitalerhöhungen geltenden § 216 Abs. 3 S. 1 AktGzu. Das ArbG hat der Klage stattgegeben, das LAG hat sie insoweit abgewiesen.

Entscheidung

Die Revision des Bankangestellten hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des BAG findet § 216 Abs. 3 S. 1 AktG auf effektive Kapitalerhöhungen keine Anwendung. Die Vorschrift gelte aufgrund ihrer systematischen Stellung im AktG unmittelbar nur für sog. nominelle Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln. Solche Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln führten der Aktiengesellschaft keine neuen Mittel zu. Vielmehr würden Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln üblicherweise aus der Kapitalrücklage oder Gewinnrücklage finanziert. Im Fall einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln sinke die Dividende prozentual durch die Erhöhung des dividendenberechtigten Kapitals. Für diesen Fall regele § 216 Abs. 3 S. 1 AktG, dass der wirtschaftliche Inhalt vertraglicher Beziehungen der Gesellschaft zu Dritten durch solche Kapitalerhöhungen nicht berührt wird. Nach Auffassung des BAG scheidet eine analoge Anwendung dieser Regelung auf effektive Kapitalerhöhungen aus, da diese mit einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals verbunden seien. Für dividendenabhängige Rechte Dritter bestehe folglich keine planwidrige Regelungslücke. Dies werde durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. Das BAG sieht auch keine Wertungswidersprüche, wenn die Verwässerungsschutzregeln für nominelle Kapitalerhöhungen nicht auf Fälle effektiver Kapitalerhöhungen übertragen würden. Für eine ergänzende Vertragsauslegung fehle die planwidrige Regelungslücke. Eine Anpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB scheide aus, da keine schwerwiegende Veränderung von Umständen vorliege, die zur Grundlage des Vertrags i. S.  § 313 BGB geworden seien.

Fazit

Mit der bislang nur als Pressemitteilung vorliegenden Entscheidung klärt das BAG eine in der Literatur bislang hoch umstrittene Rechtsfrage (zum Meinungsstand vgl. Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 216 Rn. 19).
Das BAG erteilt nach dieser Auffassung jedenfalls für effektive Kapitalerhöhungen, die mit einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals verbunden sind, eine Absage. Da in diesem Fall der Aktiengesellschaft neue Mittel zugeführt werden, sieht das BAG keinen Grund für eine analoge Anwendung von § 216 Abs. 3 S. 1 AktG.
Für die Gestaltung von Vergütungsprogrammen ist diese Entscheidung zu beachten. Hängt die Vergütung von der Aktienkursentwicklung oder der Höhe der Dividende ab, sollten in Vergütungsprogrammen Regelungen für die verschiedenen Formen von Kapitalerhöhung und Kapitalherabsetzungen geregelt werden, um eine angemessene und interessengerechte Anpassung des Vergütungsprogramms sicherzustellen.


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