Kündigung wegen wiederholter Verspätung Entbehrlichkeit der Abmahnung

|| Arbeitsrecht

LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 31.8.2021 – 1 Sa 70 öD/21

Einleitung
Die Erfolgsaussichten einer verhaltensbedingten Kündigung sind für den Arbeitgeber selbst nach einer einschlägigen Abmahnung schwer einzuschätzen, da die Arbeitsgerichte die Pflichtverletzung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Falles zu würdigen haben. Dabei besteht ein weiter Beurteilungsspielraum.

Sachverhalt
Die Arbeitnehmerin ist beim Land als Serviceangestellte im SG beschäftigt. Das Land kündigte das zum Zeitpunkt der Kündigung mehr als 13 Jahre bestehende Arbeitsverhältnis mit der kurz vor der Vollendung des 40. Lebensjahres stehenden Servicekraft mit Schreiben vom 30.10.2019 außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Termin. Vorausgegangen war ein knapp achtmonatiger Zeitraum, in dem es zu Störungen des Arbeitsverhältnisses kam.
Am 27.2.2019 mahnte das Land die Servicekraft wegen wiederholter Rauchpausen ohne Auszustempeln ab. Die Arbeitszeit wurde nachgearbeitet.
Am 31.7.2019 wurde die Arbeitnehmerin erneut abgemahnt, weil sie zu einer internen dienstlichen Fortbildung verspätet erschienen war.
Am 21.10.2019 meldete sich die Servicekraft erst eineinhalb Stunden telefonisch nach Beginn der Kernzeit, da sie verschlafen hatte. Sie entschuldigte sich für das Fehlverhalten und es wurde vereinbart, den Tag als Urlaubstag anzurechnen.
Am 25.10.2019 rief die Servicekraft zweieinhalb Stunden nach Beginn der Kernzeit (11:30 Uhr) an und teilte mit, dass sie erneut verschlafen habe. Sie erschien um 14:30 Uhr zum Dienst und arbeitete bis 18:30 Uhr.
Am folgenden 28.10. erschien sie erst um 9:07 Uhr (also 7 Minuten verspätet) zur Arbeit. Sie teilte mit, sie habe am Vorabend des 21. und 25.10. ein homöopathisches Mittel eingenommen und jeweils den Wecker nicht gehört.
Das Land behauptet der Servicekraft auch eine mündliche Abmahnung erteilt zu haben. In der Beweisaufnahme des Geschäftsstellenleiters äußerte dieser, er habe der Servicekraft gegenüber geäußert, sie am liebsten bereits sofort rausschmeißen zu wollen.
Das ArbG erachtete die außerordentliche Kündigung als unwirksam, die ordentliche Kündigung als sozial gerechtfertigt.

Entscheidung
Die Berufung der Arbeitnehmerin wies das LAG zurück.
Kommt ein Arbeitnehmer an drei von vier aufeinander folgenden Arbeitstagen erheblich zu spät oder gar nicht zur Arbeit, könne dies je nach den Umständen des Einzelfalls den Rückschluss auf ein hartnäckiges und uneinsichtiges Fehlverhalten zulassen, sodass es vor Ausspruch einer Kündigung keiner ausdrücklichen Abmahnung mehr bedürfe.
Eine ordentliche Kündigung sei sozial gerechtfertigt, wenn wegen der ersten Verspätung ausdrücklich eine mündliche Abmahnung erteilt wurde, auch wenn das Arbeitsverhältnis bereits mehr als 13 Jahre bestanden habe.
Die Servicekraft habe durch die verspätete Arbeitsaufnahme am 25.10.2019 um 5 ½ Stunden und am 28.10.2019 um 7 Stunden ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Die von ihr vorgetragenen persönlichen Rechtfertigungen der Verspätung (Schlaflosigkeit, Tod des Vaters, Erkrankung und Pflegebedürftigkeit der Mutter, psychische Belastung infolge hoher Arbeitsbelastung, eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 60 % habe nicht geholfen) seien den privaten Lebensumständen der Arbeitnehmerin zuzurechnen, zudem unsubstantiiert und vermochten das Bestehen einer Pflichtverletzung nicht zu beseitigen. Die erstinstanzliche Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Servicekraft im Gespräch am 23.2.2019 abgemahnt worden sei. Vorliegend sei jedoch auch ungeachtet dessen die Abmahnung entbehrlich gewesen. Aus den Gesamtumständen ergäbe sich, dass die Servicekraft nicht ernsthaft gewillt gewesen sei, sich vertragsgerecht zu verhalten. Sie hätte mehrfach verschlafen und keine Maßnahmen ergriffen, um das zu verhindern.

Fazit
Die Entscheidung ist auch deshalb bemerkenswert, weil es sich um ein Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst handelt und weil die Arbeitnehmerin auf eine Betriebszugehörigkeit von immerhin 13 Jahren zurückblicken konnte. Ihr Arbeitsverhältnis befand sich unmittelbar vor Beginn des tariflichen Kündigungsschutzes mit Vollendung des 40. Lebensjahres.
Die verhaltensbedingte Kündigung ohne vorherige Abmahnung ist in der gerichtlichen Praxis selten. Entscheidungen in diesem Bereich sind immer Einzelfallentscheidungen, die nur schwer verallgemeinert werden können.


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