Kurzarbeit und Jahresurlaub

|| Arbeitsrecht

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30. November 2021 Az.: 9 AZR 234/21

Einleitung

Die Corona-Pandemie hat neben gravierenden gesundheitlichen Auswirkungen auch zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Beeinträchtigungen und damit einhergehenden Arbeitsausfällen geführt. Viele Arbeitgeber haben deshalb zur Entlastung von Personalkosten teilweise über Wochen und Monate Kurzarbeit einführen müssen. Viel diskutiert wurde in diesem Zusammenhang die Frage, ob für die von Kurzarbeit betroffenen Mitarbeiter aufgrund der Verringerung der Arbeitszeit eine Verminderung des Urlaubsanspruchs eintritt.

Der Zweck des bezahlten Mindestjahresurlaubs besteht nach einer Entscheidung des EuGH (Urteil vom 13.12.2018 – C-385/17 -Hein) darin, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen. Dieser Zweck beruhe auf der Prämisse tatsächlicher Arbeit im Referenzzeitraum. Das Erholungsziel setze voraus, dass der Arbeitnehmer eine Tätigkeit ausgeübt habe, die es zu dem vorgesehenen Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit rechtfertige, über einen Zeitraum der Erholung, der Entspannung und der Freizeit zu verfügen. Daher seien „Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich anhand der Zeiträume der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeit” zu berechnen.
Allerdings wies der EuGH ausdrücklich darauf hin, dass sich die Richtlinie auf die Aufstellung von Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz beschränke und daher das Recht der Mitgliedstaaten unberührt lasse, günstigere nationale Vorschriften anzuwenden.

Sachverhalt

Die Arbeitnehmerin ist drei Tage wöchentlich als Verkaufshilfe mit Backtätigkeiten beschäftigt. Bei einer Sechstagewoche hätte ihr nach dem Arbeitsvertrag ein jährlicher Erholungsurlaub von 28 Werktagen zugestanden. Dies entsprach bei einer vereinbarten Dreitagewoche einem Urlaubsanspruch von 14 Arbeitstagen.

Aufgrund Arbeitsausfalls durch die Corona-Pandemie führte der Arbeitgeber Kurzarbeit ein. Dazu trafen die Parteien Kurzarbeitsvereinbarungen, auf deren Grundlage die Arbeitnehmerin ua. in den Monaten April, Mai und Oktober 2020 vollständig von der Arbeitspflicht befreit war und in den Monaten November und Dezember 2020 insgesamt nur an fünf Tagen arbeitete. Aus Anlass der kurzarbeitsbedingten Arbeitsausfälle nahm der Arbeitgeber eine Neuberechnung des Urlaubs vor. Er bezifferte den Jahresurlaub der Arbeitnehmerin für das Jahr 2020 auf 11,5 Arbeitstage. Dagegen hat die Arbeitnehmerin geklagt. Sie hat den Standpunkt eingenommen, kurzarbeitsbedingt ausgefallene Arbeitstage müssten urlaubsrechtlich wie Arbeitstage gewertet werden. Der Arbeitgeber sei daher nicht berechtigt gewesen, den Urlaub zu kürzen. Für das Jahr 2020 stünden ihr weitere 2,5 Urlaubstage zu.

Entscheidung

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte beim Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg

Nach § 3 Abs. 1 BUrlG belaufe sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei einer gleichmäßigen Verteilung der Arbeit auf sechs Tage in der Woche auf 24 Werktage. Ist die Arbeitszeit eines Arbeitnehmers nach dem Arbeitsvertrag auf weniger oder mehr als sechs Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt, sei die Anzahl der Urlaubstage grundsätzlich unter Berücksichtigung des für das Urlaubsjahr maßgeblichen Arbeitsrhythmus zu berechnen, um für alle Arbeitnehmer eine gleichwertige Urlaubsdauer zu gewährleisten (24 Werktage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage). Dies gelte entsprechend für den vertraglichen Mehrurlaub, wenn die Arbeitsvertragsparteien – wie im vorliegenden Fall – für die Berechnung des Urlaubsanspruchs keine von § 3 Abs. 1 BUrlG abweichende Vereinbarung getroffen haben.

Bei der vertraglichen Dreitagewoche der Arbeitnehmerin errechnete sich zunächst ein Jahresurlaub von 14 Arbeitstagen (28 Werktage x 156 Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage). Der kurzarbeitsbedingte Ausfall ganzer Arbeitstage rechtfertige eine unterjährige Neuberechnung des Urlaubsanspruchs. Aufgrund einzelvertraglich vereinbarter Kurzarbeit ausgefallene Arbeitstage seien weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen. Der Urlaubsanspruch aus dem Kalenderjahr 2020 übersteige deshalb nicht die vom Arbeitgeber berechneten 11,5 Arbeitstage. Allein bei Zugrundelegung der drei Monate, in denen die Arbeit vollständig ausgefallen sei, hätte die Arbeitnehmerin lediglich einen Urlaubsanspruch von 10,5 Arbeitstagen (28 Werktage x 117 Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage).

Fazit
Die Entscheidung klärt die Berechnung des Urlaubsanspruches nach Kurzarbeit im Urlaubsjahr jedenfalls in Bezug auf die Kurzarbeit Null. Der Arbeitgeber hatte den Urlaub verhältnismäßig nur für Zeiträume gekürzt, in denen die Arbeitnehmerin über einen vollen Monat nicht gearbeitet hatte. Aus der Pressemitteilung könnte geschlossen werden, dass eine Kürzung des Urlaubsanspruchs auch möglich ist, wenn die Arbeit wegen Kurzarbeit nicht volle Monate oder Wochen ausfällt, sondern nur einzelne Arbeitstage wegen Kurzarbeit arbeitsfrei geblieben sind. Das ist nach der Rechtsprechung des EuGH nicht selbstverständlich, weil der Erholungszweck nicht voll erreicht wird, wenn innerhalb der Arbeitswoche an einzelnen Arbeitstagen noch Arbeitspflicht besteht. Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidungsgründe dazu weitere Aufklärung bringen. Jedenfalls reicht eine Kürzung der täglichen Arbeitszeit nicht aus, um den Urlaubsanspruch zu reduzieren, wenn keine vollen Arbeitstage arbeitsfrei bleiben.


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