Nutzung des Betriebsgrundstücks des Arbeitgebers durch die streikführende Gewerkschaft

|| Arbeitsrecht

BAG, Urteil vom 20.11.2018, Az.: 1 AZR 189/17

1. Das Streikrecht umfasst die Befugnis einer streikführenden Gewerkschaft, die zur Arbeitsniederlegung aufgerufenen Arbeitnehmer unmittelbar vor dem Betreten des Betriebes anzusprechen, um sie für die Teilnahme am Streik zu gewinnen. Eine solche Aktion kann – abhängig von den konkreten örtlichen Gegebenheiten – mangels anderer Mobilisierungsmöglichkeiten auch auf einem von der bestreikten Arbeitgeberin vorgehaltenen Firmenparkplatz vor dem Betriebsgebäude zulässig sein.

2. Im Rahmen einer Abwägung widerstreitender grundrechtlicher Gewährleistungen hat die Arbeitgeberin eine kurzzeitige, situative Beeinträchtigung ihres Besitzes hinzunehmen. Angesichts der örtlichen Verhältnisse kann die Gewerkschaft (hier) nur auf dem Firmenparkplatz vor dem Haupteingang mit den zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmern kommunizieren und im Gespräch versuchen, auf Arbeitswillige einzuwirken.

Einleitung

Arbeitskampf ist die von einer Gewerkschaft, einem Arbeitgeberverband oder einem Arbeitgeber getragene und verantwortete Ausübung von kollektivem Druck auf den sozialen Gegenspieler mittels Zufügung von Nachteilen oder deren Abwehr mit dem Ziel, den Gegner zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen. Der Arbeitskampf ist nicht schrankenlos zulässig.

Das von Art. 13 GG geschützte Hausrecht des Arbeitgebers ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit bestimmter Streikmaßnahmen zu beachten. Es beruht auf dem Grundstückseigentum oder -besitz und ermöglicht seinem Inhaber, grundsätzlich frei darüber zu entscheiden, wem er den Zutritt zu der Örtlichkeit gestattet und wem er ihn verwehrt. Das schließt das Recht ein, den Zutritt nur zu bestimmten Zwecken zu erlauben und die Einhaltung dieses Zwecks mittels eines Hausverbots durchzusetzen. Auf der anderen Seite umfasst das von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Streikrecht auch das Recht der streikbeteiligten Arbeitnehmer und Gewerkschaftsfunktionäre (Streikposten), Arbeitswillige zur Solidarität mit den Streikenden und zur Streikteilnahme überreden zu dürfen. Als zulässige Beeinflussung der Arbeitswilligen gilt allerdings nur gütliches Zureden und der Appell an die Solidarität. Der Entscheidung des BAG beschäftigt sich mit der Frage, ob die Gewerkschaft ihre Streikposten außerhalb des Betriebsgeländes aufstellen muss.

Sachverhalt

Die Parteien streiten darüber, ob sich die Gewerkschaft auf einem zum gepachteten Betriebsgrundstück der Arbeitgeberin gehörenden Firmenparkplatz mit Ständen positionieren, Flyer verteilen und Arbeitnehmer auf dem Weg in das Betriebsgebäude ansprechen darf, um diese für die Teilnahme am Streik zu gewinnen.

Die Gewerkschaft bestreikte die Arbeitgeberin, ein Versand- und Logistikzentrum, an insgesamt drei Tagen. Nur von dem 28.000 qm großen Parkplatz aus ist der Haupteingang des Arbeitgebers zu erreichen. Die streikführende Gewerkschaft baute Stehtische/Tonnen auf; Gewerkschaftsvertreter und streikende Arbeitnehmer verteilten Flyer und forderten die zur Arbeit erscheinenden Arbeitnehmer zur Teilnahme am Streik auf.

Die Arbeitgeberin klagte auf Unterlassen unter Berufung auf ihr Hausrecht (Art. 33, Art. 14 GG). Die Gewerkschaft beantragte Abweisung; das Hausrecht habe hinter der aktiven Ausübung ihres Streikrechts zurückzutreten.

Das ArbG gab der Klage statt, das LAG wies sie zurück.

Entscheidung

Die Revision der Arbeitgeberin hatte keinen Erfolg. Die im Wege der praktischen Konkordanz vorzunehmende Abwägung widerstreitender Grundrechtspositionen falle im vorliegenden Fall angesichts der örtlichen Verhältnisse zugunsten der Gewerkschaft aus. Eine kurzzeitige, situative Beeinträchtigung ihres Besitzes habe die Arbeitgeberin in Anbetracht mangelnder anderer Mobilisierungsmöglichkeiten der Gewerkschaft hinzunehmen. Die streikende Gewerkschaft könne nach Ansicht des BAG nur auf dem Firmenparkplatz direkt vor dem Haupteingang mit den zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmern kommunizieren und im Rahmen von Gesprächen auf zur Arbeit erscheinende Arbeitnehmer einwirken.

Fazit

Die Entscheidung liegt noch nicht in vollständiger Fassung vor. Wie sich aus der Pressemitteilung ergibt stützt sich das BAG auf die konkreten örtlichen Verhältnisse. Man wird aus der Entscheidung nicht ableiten müssen, dass eine Inanspruchnahme von Firmengelände für Streikaktion der Gewerkschaft zu dulden ist, wenn öffentlicher Raum zur Verfügung steht. Die Begründung im Einzelnen bleibt jedoch abzuwarten.

Nach bisheriger Rechtsprechung galt der Grundsatz, dass der Arbeitgeber seine eigenen Betriebsmittel nicht zum Streik zur Verfügung stellen muss (BAG, ArbRAktuell 2014, S. 160).


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