Quarantäne während des Erholungsurlaubs

|| Arbeitsrecht

LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.2.2022 – 10 Sa 62/21

Einleitung

Urlaub wird durch bezahlte Freistellung durch den Arbeitgeber gewährt. Erkrankt der Arbeitnehmer während des Urlaubs werden die Freistellungstage nicht auf den Urlaubsanspruch angerechnet, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch eine AU-Bescheinigungen nachgewiesen ist (§ 9 BUrlG). In Zeiten der Corona Pandemie wird eine analoge Anwendung der Vorschrift auf den Fall diskutiert, dass der Arbeitnehmer während seines Urlaubs aufgrund einer Absonderungsanordnung des Gesundheitsamtes wegen eines Ansteckungsverdachts mit einer Covid 19 - Infektion das Haus nicht verlassen darf (Quarantäne).

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Folgen einer Quarantäneanordnung für den bewilligten Erholungsurlaub des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber hatte dem Arbeitnehmer am 19.3.2020 für den 17. und 18.9.2020 Erholungsurlaub bewilligt und ihm das Urlaubsentgelt vorbehaltslos zugesagt. Das zuständige Ordnungsamt ordnete vom 17. bis zum 29.9.2020 Quarantäne an. Der Arbeitgeber errechnete den bewilligten Urlaub auf den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers an. Der Arbeitnehmer verlangte eine Gutschrift dieser Tage auf seinem Urlaubskonto.

Der Arbeitnehmer ist der Auffassung, aufgrund der Quarantäne habe der Erholungszweck des Urlaubs nicht eintreten können. Es sei ihm nicht möglich gewesen, die Wohnung zu verlassen. Die Quarantäne sei daher mit einer Arbeitsunfähigkeit vergleichbar, führe sogar zu noch größeren Einschränkungen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Quarantäne aufgrund eines Kontaktes am Arbeitsplatz angeordnet wurde. Das urlaubsstörende Ereignis stamme aus der Sphäre des Arbeitgebers. Daher stünde ihm die Gutschrift der Urlaubstage, hilfsweise auch als Schadensersatz zu.

Der Arbeitgeber war der Ansicht, die Quarantäne stehe der Erholung nicht entgegen. Diese sei durchaus auch innerhalb der eigenen Wohnung möglich. Auch könne ein Arbeitnehmer in Quarantäne grundsätzlich im Wege der Telearbeit arbeiten – ein Kranker dagegen nicht. Die Sachverhalte seien daher nicht vergleichbar.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen.

Entscheidung

Auch die Berufung vor dem LAG Baden-Württemberg hatte keinen Erfolg. Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums und der vorbehaltslosen Zusage des Urlaubsentgelts im März 2020 habe der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs alles Erforderliche getan. Der Arbeitgeber schulde lediglich die Freistellung von der Arbeitspflicht und die Zahlung des Urlaubsentgelts. Einen „Urlaubserfolg“ schulde er dagegen nicht. Alle später eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fielen als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des Arbeitnehmers, sofern der Gesetzgeber nicht – wie in § 9 BUrlG für den Fall der Arbeitsunfähigkeit – eine Ausnahme formuliert habe.

Eine unmittelbare Anwendung von § 9 BUrlG scheitere daran, dass der Arbeitnehmer tatsächlich nicht arbeitsunfähig war. Auch eine analoge Anwendung komme nicht in Betracht. Es fehle bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe sich in Kenntnis einer Vielzahl denkbarer urlaubsstörender Ereignisse entschieden, nur im Fall der Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Nachgewährung des Urlaubs vorzusehen. Auch nach Ansicht des EuGH und des BAG stünden urlaubsschädliche Bedürfnisse und Verpflichtungen der Erfüllung des Urlaubsanspruchs nicht entgegen.

Zudem liege auch eine vergleichbare Interessenlage nicht vor. Das wäre nur der Fall, wenn typischerweise bei Quarantäne und Arbeitsunfähigkeit vergleichbare Beeinträchtigungen entstünden. Auch wenn das im Einzelfall zutreffen möge, sei das jedoch nicht typischerweise der Fall. Letztlich sei auch mit Blick auf die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers eine analoge Anwendung der Rechtsfolge von § 9 BUrlG nicht zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen notwendig.
Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs habe der Arbeitnehmer nicht schlüssig dargelegt. Allein der Verweis auf ein fehlerhaftes Hygienekonzept reiche nicht aus.

Fazit

§ 9 BUrlG findet keine analoge Anwendung, wenn ein nicht arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer während seines Urlaubs aufgrund einer Quarantäneanordnung des Gesundheitsamtes nach Kontakt mit einer mit COVID-19 infizierten Person die Wohnung nicht verlassen darf. Der Urlaubsanspruch eines solchen Arbeitnehmers wird vielmehr im Umfang des vom Arbeitgeber gewährten Urlaubs erfüllt und das Urlaubsguthaben des Arbeitnehmers verringert sich um die entsprechenden Tage (ebenso: LAG Schleswig-Holstein (1. Kammer), Urteil vom 15.02.2022, Az. 1 Sa 208/21, LAG Köln, Urteil vom 13.12.2021, Az. 2 SA 488/21, LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.10.2021, Az. 7 Sa 857/21)

Obwohl sich bereits eine ganze Reihe von Landesarbeitsgerichten gegen eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG entschieden haben, ist die Frage höchstrichterlich noch nicht geklärt. Beim BAG ist eine vom LAG zugelassene Revision anhängig (BAG, Az. 9 AZR 112/22). Der Arbeitgeber schuldet zutreffend keinen Urlaubserfolg. Für die Erfüllung des Urlaubsanspruchs ist es aber nicht völlig unerheblich, ob der Urlaubszweck mit Erholung und Entspannung nicht maßgeblich vereitelt wurde.


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