Unionsrechtswidrigkeit des Verfalls von Urlaub nach § 7 III BUrlG

|| Arbeitsrecht

EuGH, Urteil vom 06.011.2018, Az.: C-684/16 (BAG 13.12.2016, Az.: 9 AZR 541/15)

Einleitung

Nach § 7 Abs. 3 BUrlG ist der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers befristet und nur begrenzt auf das Folgejahr übertragbar. Der gesetzlichen Regelung zufolge verfällt der bis zum Jahresende nicht genommene Urlaub. Der Urlaubsanspruch geht am Jahresende gemäß § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG nur dann nicht unter, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Der Urlaub wird dann auf das nächste Kalenderjahr befristet bis zum 31. März, im Falle der andauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit auch bis zum ein 31. März des übernächsten Kalenderjahres übertragen. Die Übertragung vollzieht sich kraft Gesetzes, wenn die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG vorliegen (BAG 9.8.1994 NZA 1995, 174). Besondere Übertragungserklärungen der Arbeitsvertragsparteien oder des Arbeitgebers, insbesondere eine Zustimmung oder Genehmigung, sind nicht erforderlich. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub im Übertragungszeitraum gewährt und genommen werden.

Will sich der Arbeitnehmer darauf berufen, dass dringende betriebliche Gründe im Sinne des § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG die Freistellung verhindert haben und damit ein Übergang des Urlaubsanspruchs stattgefunden haben soll, und reklamiert der Arbeitgeber den Verfall des Urlaubs zum Jahresende, muss der Arbeitnehmer die Voraussetzungen für die Übertragung darlegen und beweisen. Das war nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG nur möglich, wenn der Arbeitnehmer belegen konnte, dass er einen Urlaubswunsch geäußert und der Arbeitgeber diesen aus betrieblichen Gründen abgelehnt hatte. Die jetzt veröffentlichte der Entscheidung des EuGH senkt die Schwelle zur Übertragung des Urlaubsanspruchs erheblich ab.

Sachverhalt

Im Ausgangsrechtsstreit klagt Herr Shimizu gegen seinen früheren Arbeitgeber, die Max-Planck-Gesellschaft auf Urlaubsabgeltung. Sein befristeter Arbeitsvertrag endete am 31.12.2013. Mit Schreiben vom 23.10.2013 bat ihn die Max-Planck-Gesellschaft, seinen Urlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zu nehmen. Sie verpflichtete Herrn Shimizu jedoch nicht, den Urlaub zu einem bestimmten von ihr festgelegten Termin zu nehmen. Herr Shimizu nahm nur am 15.11. und 2.12.2013 jeweils einen Tag Urlaub. Mit Schreiben vom 23.12.2013 verlangte er die Abgeltung von 51 nicht genommenen Urlaubstagen aus 2012 und 2013.

Das BAG war der Auffassung, die fraglichen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub seien gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen, da der Urlaub nicht im Urlaubsjahr genommen worden sei. Nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfalle nämlich der im Urlaubsjahr nicht genommene Urlaub des Arbeitnehmers grundsätzlich am Ende des Urlaubsjahres, es sei denn, die Übertragungsvoraussetzungen nach dieser Bestimmung lägen vor. Sei der Arbeitnehmer in der Lage gewesen, seinen Urlaub im Urlaubsjahr zu nehmen, gehe der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub daher am Ende des Urlaubsjahres unter. Da diese Ansprüche verfallen seien, könnten sie nicht mehr in einen Abgeltungsanspruch gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG umgewandelt werden. Anders sei es nur, wenn der Arbeitgeber trotz eines rechtzeitigen Urlaubsantrags des Arbeitnehmers diesem keinen Urlaub gewährt habe. § 7 BUrlG könne aber nicht so ausgelegt werden, dass der Arbeitgeber verpflichtet wäre, den Arbeitnehmer dazu zu zwingen, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen.

Das BAG legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob § 7 Abs. 3 BUrlG BUrlG gegen Art. 7 RL 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 Grundrechtscharta der EU verstoße und – bejahendenfalls – welche Folgen sich daraus für ein Arbeitsverhältnis zwischen Privatpersonen ergäben.

Entscheidung

Der EuGH entschied, dass § 7 Abs. 3 BUrlG Art. 7 RL 2003/88/EG, Art. 31 Abs. 2 Grundrechtscharta der EU entgegen steht, nach der ein Arbeitnehmer, der keinen Urlaubsantrag gestellt hat, am Ende des Bezugszeitraums die ihm zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub verliert und zwar automatisch und ohne vorherige Prüfung, ob er vom Arbeitgeber z. B. durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch wahrzunehmen.

Aus Art. Art. 31 Abs. 2 GRCh ergebe sich, dass das mit einem Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem früheren privaten Arbeitgeber befasste nationale Gericht möglicherweise entgegenstehende nationale Regelungen unangewendet zu lassen hat.

Der EuGH betont zunächst, dass es sich bei dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub um einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Union handele. Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG sehe vor, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommene Urlaubstage habe. Diese Regelung stehe jedoch nationalen Vorschriften, die den Verlust des Urlaubsanspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums vorsehen, nicht entgegen, allerdings unter der Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch wahrzunehmen. Der Arbeitgeber müsse seinen Arbeitnehmer nicht zwingen, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich wahrzunehmen. Er sei aber verpflichtet, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage sei, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordere, dies zu tun, und ihm klar und rechtzeitig mitteile, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nehme, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen werde. Hierfür trage der Arbeitgeber die Beweislast. Erbringe der Arbeitgeber diesen Beweis, zeige sich, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen darauf verzichtet habe, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen.

Könne § 7 Abs. 3 BUrlG nicht im Einklang mit dem Unionsrecht ausgelegt werden, ergebe sich aus Art. 31 Abs. 2 GRCh, dass das mit dem Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem früheren privaten Arbeitgeber befasste nationale Gericht diese nationale Regelung unangewendet zu lassen und dafür Sorge zu tragen habe, dass der Arbeitnehmer weder seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub noch entsprechend die finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub verlieren könne.

Fazit

Die bisherige Praxis zum Urlaubsverfall am Jahresende kann nicht fortgeführt werden. Der EuGH hat klargestellt, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, den Arbeitnehmer in den Urlaub zu „zwingen“. Er muss ihn aber klar und transparent darauf hinweisen, dass am Jahresende der Verfall seines Urlaubs droht und ihm tatsächlich die Möglichkeit geben, den Urlaub zu nehmen.

Der Arbeitgeber ist damit gezwungen, rechtzeitig vor dem Jahresende alle Arbeitnehmer auf ihren individuell offenen und noch zum Jahresende in Anspruch zu nehmenden Urlaub hinzuweisen, sie zum Abbau des Urlaubs durch Abgabe eines Urlaubsantrages aufzufordern und den Verfall des verbliebenen Jahresurlaubs zum Jahresende im Falle einer unterlassene Antragstellung anzudrohen.


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