Unwirksamkeit des Ausschlusses der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit eines Arztes in Weiterbildung für 42 Monate

|| Arbeitsrecht

LAG Baden-Württemberg Urteil vom 10.05.2021 Az. 1 Sa 12/21

Das LAG Baden-Württemberg hat entschieden, dass eine Vertragsklausel, wonach das zum Zwecke der Weiterbildung abgeschlossene Arbeitsverhältnis eines in der Weiterbildung zum Facharzt befindlichen approbierten Arztes nach Ablauf der Probezeit erst nach 42 Monaten nach Beginn des Arbeitsverhältnisses ordentlich gekündigt werden kann, den in der Weiterbildung befindlichen Arzt entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt und daher nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam ist.

Die Parteien streiten über die Zahlung von Arbeitsentgelt in Höhe eines Bruttomonatsgehalts; wiederklagend wurde eine möglich entgegenstehende Forderung auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von drei Monatsgehältern geltend gemacht. Die sich in Weiterbildung befindliche Ärztin schloss einen Arbeitsvertrag mit der Gemeinschaftspraxis, der das Recht zur ordentlichen Kündigung für 42 Monate ausschloss. Für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis vertragswidrig vor Ablauf der 42 Monate gelöst wird, sah der Vertrag eine Vertragsstrafe in Höhe von 3 Bruttomonatsgehältern vor.

Aufgrund familiärer Umstände kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis weit vor der vertraglich vorgesehenen Kündigungsfrist, jedoch innerhalb der gesetzlichen Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende. Die Beklagte wies die Kündigung zurück, zahlte das ausstehende Monatsgehalt nicht und verlangte die Zahlung der Vertragsstrafe.

In erster Instanz gab das Arbeitsgericht Ulm der Klage statt und wies die Widerklage ab. Das Landesarbeitsgericht wies die von der Beklagten eingelegte Berufung als unbegründet zurück. Zur Begründung führte das LAG aus, dass der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der ausstehenden Vergütung bereits aus § 611 a Abs. 2 BGB folge. Die Aufrechnung der Beklagten sei unbegründet, da ihr kein Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe zustehe. Die arbeitsvertragliche Klausel, wonach der Ausschluss der ordentlichen Kündigung bis zum Ende des 42. Monats des Arbeitsverhältnisses sei als Allgemeine Geschäftsbedingung gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB vereinbart worden. Das Gericht sah diese Klausel als unwirksam an, da sie die Klägerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige.

In die Abwägung zog das Gericht sowohl die gesetzlichen, als auch die tariflichen Kündigungsfristen heran. Es würdigte die typische Interessenlage der Parteien eines ärztlichen Weiterbildungsarbeitsverhältnisses im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und kam zu dem Ergebnis, dass die berufliche Bewegungsfreiheit zu sehr eingeschränkt werde und auch die familiären Verhältnisse nach Art. 6 Abs. 1 GG zu sehr beeinträchtigt würden. Es berücksichtigte zwar, dass der Arbeitgeber- der weiterbildende Arzt- mit der Weiterbildung der Klägerin eine Investition getätigt habe. Angesichts der Tatsache, dass er sich aber ebenfalls aus dem Markt anderer weiterzubildender Ärzte bedienen könne, die bereits an anderen Weiterbildungsinstituten (teilweise) ausgebildet wurden, musste dies für das LAG im Rahmen der Abwägung zurücktreten.

Diese Wertung wird durch die Rechtsprechung des BAG zur zulässigen Bindung des Arbeitnehmers bei vom Arbeitgeber finanzierten Fortbildungen bestätigt. Hiernach sind zwar einzelvertragliche Vereinbarungen grundsätzlich zulässig, nach denen sich ein Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung zu beteiligen hat, soweit er vor Ablauf bestimmter Fristen nach Ende der Ausbildung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. In Abwägung der wechselseitigen grundrechtlichen Positionen hat das BAG aber typisierende Regelungen für die maximale Bindung des Arbeitnehmers entwickelt.


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