Vergütung von Reisezeiten bei Auslandsentsendung

|| Arbeitsrecht

BAG, Urteil vom 17.10.2018, Az.: 5 AZR 553/17

Entsendet der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vorübergehend zur Arbeit ins Ausland, sind die für die Hin- und Rückreise erforderlichen Zeiten wie Arbeit zu vergüten.

Einleitung

Im Arbeitszeitrecht ist zwischen dem Arbeitszeitschutzrecht und dem vertraglichen Arbeitszeitrecht zu unterscheiden. Die Vorschriften des Arbeitszeitschutzrechts, vor allem die des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG), normieren verbindliche Rahmenbedingungen für die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer. Sie sind öffentlich-rechtlicher Natur. Bei Verstößen drohen Sanktionen (Bußgeld) der Behörden.

Die Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung betrifft hingegen das vertragliche Arbeitszeitrecht. Es bestimmt, innerhalb welcher Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufgrund von Vereinbarungen seine Arbeitsleistung zu erbringen und dementsprechend grundsätzlich Anspruch auf Vergütung hat. In diesem Zusammenhang sind der individuelle Arbeitsvertrag und gegebenenfalls auch ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung maßgeblich.

Die vom Arbeitgeber angeordneten Fahrten vom Betrieb zu einer auswärtigen Arbeitsstelle sind schon nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG grundsätzlich vergütungspflichtig, da sie zu den „versprochenen Diensten“ im Sinne von § 611 Abs. 1 BGB gehören (BAG 12.12.2012 – 5 AZR 355/12, NZA 2013, 1158).

Der Arbeitnehmer verliert nach BAG während einer Dienstreise die Möglichkeit, über seine Zeit zu disponieren, er erfülle ein fremdes, nicht ein eigenes Bedürfnis, weil er dem Arbeitgeber seine Zeit zur Durchführung der Dienstreise zur Verfügung stellt (BAG 22.4.09 – 5 AZR 292/08, NZA-RR 10, 231). Es sei auch unerheblich, ob der Arbeitnehmer selbst ein Fahrzeug steuert oder andere Verkehrsmittel benutzt.

Auch die vom Arbeitgeber während der Reise veranlasste Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer anwesend sein müsse und nicht frei über die Nutzung seiner Zeit bestimmen könne, er also weder eine Pause noch Freizeit habe, sei nach BAG vergütungspflichtige Arbeit, denn der Arbeitgeber beanspruche die Anwesenheit und die Zeit des Arbeitnehmers.

Eine im Arbeitsvertrag dem Arbeitnehmer vorgegebene Klausel, Reisezeiten seien mit der Bruttomonatsvergütung abgegolten, bringen wegen Intransparenz keine Abhilfe, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag nicht ergibt, welche „Reisetätigkeit“ von ihr in welchem Umfang erfasst werden soll (BAG 20.4.2011 – 5 AZR 200/10, NZA 2011, 917).

Begrenzt wurde die Anrechnung von Dienstreisezeiten als Arbeitszeiten nach bisheriger Rechtsprechung dadurch, dass bei langdauernden oder mehrtägigen Reisen Pausen, Ruhens- und Schlafenszeiten, die auf einer Reise regelmäßig möglich sind, in Abzug zu bringen waren.

Der jetzt vom BAG entschiedene Fall ist gegenüber der bisherigen Rechtsprechung insofern von besonderer praktischer Bedeutung, als auch Zeiten als vergütungspflichtig angesehen werden, in denen der Arbeitnehmer normalerweise schläft.

Sachverhalt

Arbeitgeber und Arbeitnehmer streiten über die Vergütung von Reisezeiten, die im Rahmen der Entsendung des Arbeitnehmers ins Ausland angefallen sind. Der Arbeitgeber, ein Bauunternehmen, ist international tätig und setzt seine technischen Mitarbeiter auch auf ausländischen Baustellen ein. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes (RTV-Bau) Anwendung. Vom 10.08.2015 bis 30.10.2015 setzte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf einer Baustelle in China ein. Auf Wunsch des Arbeitnehmers buchte das Bauunternehmen für die An- und Abreise anstelle eines Direktfluges in der Economy-Class einen – nicht wesentlich teureren, aber längeren – Flug mit Zwischenstopp in Dubai in der Business-Class. Ausgehend vom arbeitsvertraglich vereinbarten Acht-Stunden-Tag zahlte der Arbeitgeber Vergütung für 32 Stunden (zwei Anreisetage und zwei Heimreisetage). Tatsächlich dauerte die Reise auf dem Hinflug insgesamt 31 Stunden und auf dem Rückflug insgesamt 38 Stunden. Der Arbeitnehmer verlangt Vergütung für die weiteren 37 Stunden Reisezeit.

Entscheidung

Das Urteil des BAG liegt bisher nur als Pressemitteilung vor (FD-ArbR 2018, 411376).

Entsende der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer vorübergehend ins Ausland, liege die Reise zur auswärtigen Arbeitsstelle ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers. Die (gesamte) Reisezeit sei deshalb wie Arbeitszeit zu vergüten. Erforderlich sei dabei die Reisezeit, die bei einem Flug in der Economy-Class (also bei einem Direktflug) anfalle. Da das LAG zum Umfang der tatsächlich erforderlichen Reisezeit des Klägers keine abschließenden Feststellungen getroffen habe, habe das BAG in der Sache nicht abschließend entscheiden können.

Fazit

Das LAG hatte der Klage des Arbeitnehmers unter Berufung auf die Vorschrift des Tarifvertrages (§ 7 Nr. 4.3 RTV-Bau) in vollem Umfang stattgegeben. Anders als das BAG hatte das LAG dem Kläger auf dieser Grundlage Vergütung für die gesamte, tatsächlich angefallene Reisezeit zugesprochen und den Anspruch nicht auf die Reisezeit für den deutlich kürzeren Direktflug begrenzt. Das BAG hat die Sache zur weiteren Aufklärung der Erforderlichkeit der Reisezeiten an das LAG zurückverwiesen, was darauf hindeutet, dass auch das BAG den RTV-Bau jedenfalls für einschlägig hält. Allerdings formuliert das BAG in der Pressemitteilung allgemein, dass Reisezeiten im Interesse des Arbeitgebers liegen. Daraus kann geschlossen werden, dass erforderliche Reisezeit auch während der Nacht bei einem Flug in der Business Class und wohl selbst dann, wenn eine notwendige Unterbrechung der Reise durch einen Zwischenstopp mit Übernachtung erforderlich ist, unabhängig von dem im Ausgangsfall anwendbaren Tarifvertrag als Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinn bewertet.

Existiert keine tarifliche oder vertragliche Regelung, kommt es für die Vergütung der Reisezeit darauf an, ob eine Vergütungserwartung i.S.d. § 612 Abs. 1 besteht. Um solchen Unklarheiten vorzubeugen, können entsprechende Regelungen zur Vergütung von Reisezeit vereinbart werden.

Das Urteil thematisiert allein die Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne. Es trifft keine Aussage darüber, ob es sich bei der Reisezeit um Arbeitszeit i.S.d. ArbZG handelt.


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