Verlängerung eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags

|| Arbeitsrecht

BAG, Urteil vom 28.4.2021 – 7 AZR 212/20

Einleitung

Nach § 14 Abs. 2 S. 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) ist eine Befristung des Arbeitsverhältnisses ohne Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat.
Nach dem Wortlaut bedeutet das: Wer bereits zuvor jemals, und sei es als Minijobber oder im Rahmen eines freiwilligen Praktikums, bei dem bisherigen Arbeitgeber beschäftigt war, kann ohne Sachgrund nicht mehr befristet eingestellt werden.
Das Bundesarbeitsgerichts hat die Vorschrift früher dahingehend teleologisch reduziert (Urteile vom 06.04.2011 – 7 AZR 716/09 – und 21.09.2011 – 7 AZR 375/10), dass dann, wenn die Vorbeschäftigung länger als 3 Jahre zurückliegt, keine Vorbeschäftigung im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG vorliegt.
Im Jahre 2018 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), dass die vom BAG vorgenommene Begrenzung auf 3 Jahre verfassungswidrig ist (Beschluss vom 06.06.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14). Auch nach Auffassung des BVerfG sollen jedoch nicht sämtliche Vorbeschäftigungen eine erneute sachgrundlos befristete Beschäftigung verhindern. Das Verbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG sei unzumutbar, soweit eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht bestehe und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich sei, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als „Regelbeschäftigungsform“ zu erhalten. Das Verbot der sachgrundlosen Befristung könne insbesondere dann unzumutbar sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliege, ganz anders geartet oder von sehr kurzer Dauer gewesen sei. Seitdem wird in Rechtsprechung und Literatur diskutiert, wie lange ein kurzes Beschäftigungsverhältnis ist und wie lange es zurücklegen muss, damit das Arbeitsverhältnis ohne Sachgrund nach § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG befristet werden kann.
Bei der hier dargestellten Entscheidung geht es um die Frage, ob der Arbeitnehmer ein Vorbeschäftigungsverhältnis im Sinne der Vorschrift schon aufgenommen hatte.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Beendigung eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrages. Der Arbeitnehmer bewarb sich im Juli 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf eine Stelle als „Anhörer“. Mit E-Mail vom 24.8.2016 teilte ihm das Bundesamt mit, dass beabsichtigt sei, ihn zum 5.9.2016 bis 4.3.2017 befristet für sechs Monate einzustellen. Zugleich wurde mitgeteilt, dass er sich im Fall der Angebotsannahme für eine Schulung am 5.9.2016 um 9.00 Uhr einzufinden habe. Mit E-Mail vom 25.8.2016 nahm der Arbeitnehmer das Angebot an und unterzeichnete den vom Arbeitgeber bereits vorunterschriebenen Arbeitsvertrag am 29.8.2016. Mit E-Mail vom 3.9.2016 teilte er mit, dass er bereits am Abend des 4.9.2016 an den Schulungsort anreise und ein Hotelzimmer reserviert habe. Das Bundesamt übernahm die Anreise- und Übernachtungskosten. Mit Schreiben vom 6.2.2017 lud das Bundesamt den Arbeitnehmer zur Teilnahme an einer Schulung als „Entscheider“ ein. Am 3./7.2.2017 vereinbarten die Parteien eine Verlängerung des Arbeitsvertrags bis 4.9.2018. Im Anschluss an die Teilnahme an der Schulung wurde der Arbeitnehmer als „Entscheider“ eingesetzt. ArbG und LAG gaben der Entfristungsklage statt.

Entscheidung

Die Revision des Arbeitgebers hatte Erfolg und führte zur Klagabweisung.
Haben die Arbeitsvertragsparteien einen ohne Sachgrund befristeten Arbeitsvertrag nach § 14 II TzBfG abgeschlossen und vereinbaren sie, dass der Arbeitnehmer am Tag vor dem im schriftlichen Arbeitsvertrag festgelegten Vertragsbeginn zu einer auswärtigen Schulungsveranstaltung anreist, könne dem nicht ohne Weiteres der übereinstimmende Wille entnommen werden, das Arbeitsverhältnis solle bereits am Tag der Anreise beginnen. Zwar könne Reisezeit im Rahmen eines bereits bestehenden Arbeitsverhältnisses vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellen. Daraus folge aber nicht, dass zu Beginn einer dienstlich veranlassten Reise stets bereits ein Arbeitsverhältnis bestehen müsse. (Orientierungssatz der Richterinnen und Richter des BAG)
Ob und zu welchem Zeitpunkt Dienste auf Grundlage eines Arbeitsverhältnisses versprochen sind, sei eine Frage der Auslegung der Erklärung der Parteien. Allein die Übernahme von Reisekosten spreche nicht für die Begründung eines Arbeitsverhältnisses. Entsprechende Reisekostenübernahmen gebe es auch bei der Teilnahme an einem Bewerbungsgespräch. Dem Einverständnis der Beklagten mit der Anreise und der Erklärung der Kostenübernahme am Vortag könne nicht der Erklärungsinhalt entnommen werden, sie habe bereits an diesem Tag ein Arbeitsverhältnis mit dem Kläger begründen wollen.
Zudem handele es sich bei dem Arbeitsvertrag vom 3./7.2.2017 um eine Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrags i. S. v. § 14 II 1 TzBfG. Dem stehe nach Auffassung des BAG nicht entgegen, dass der Arbeitnehmer in der Folgezeit nicht – wie bis dahin – als Anhörer, sondern als Entscheider beschäftigt wurde. Vielmehr konnte das Bundesamt dem Arbeitnehmer die Tätigkeit eines Entscheiders im Rahmen seines Direktionsrechts nach § 106 GewO zuweisen, da das Weisungsrecht durch den Vertrag lediglich insoweit beschränkt war, als dem Arbeitnehmer nur Tätigkeiten der vereinbarten Entgeltgruppe zuweisen konnte.

Fazit

Das BAG bestätigt seine st. Rspr. zur Verlängerung sachgrundlos befristeter Arbeitsverträge nach § 14 Abs. 2 TzBfG und hält an der Auffassung fest, dass eine Verlängerung eines Sachgrundes Arbeitsvertrages nur möglich ist, wenn nicht aus Anlass der Verlängerung eine Änderung des Arbeitsvertragsinhalts vereinbart wurde.
Darüber hinaus macht das BAG interessante Ausführungen zur Frage, wann ein Arbeitsverhältnis beginnt, wenn der Arbeitnehmer bereits davor im Interesse des Arbeitgebers tätig wird.
Das LAG hatte aus vom Arbeitgeber durch die Übernahme der Reisekosten akzeptierten Anreise am Sonntagabend vor Beginn des ersten Arbeitstages die Schlussfolgerung gezogen, das Arbeitsverhältnis hätte bereits am Sonntag begonnen. Das BAG hat demgegenüber auf den Arbeitsvertrag abgestellt. Dass eine Übernahme von Kosten für Aufwendungen des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis kein entscheidendes Kriterium sein kann, ist sicher richtig. Ebenso wenig ist aber allein ausschlaggebend, ob für einen Einsatz des Arbeitnehmers vor Beginn des Arbeitsfeldes eine Vergütung geschuldet ist oder nicht. Schickt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor Beginn des Arbeitsverhältnisses auf eine Schulung und beginnt diese vor dem im schriftlichen Vertrag für den Beginn des Arbeitsverhältnisses festgesetzten Termin, kann ein Vorbeschäftigungsverhältnis auch dann vorliegen, wenn die Schulung unbezahlt ist.


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