Warum die Höhe des Entschädigungsanspruchs eines Vertragsarztes gem. § 103 Abs. 3a S. 13 SGB V auch „null“ betragen kann

|| Medizinrecht

LSG Hamburg Urteil vom 10.11.2021 - Az.: L 5 KA 13/20

Das Landessozialgericht Hamburg kam in seinem Urteil vom 10.11.2021 (Az.: L 5 KA 13/20) zu dem Ergebnis, dass der Verkehrswert einer Arztpraxis durchaus bei null liegen kann und dem Vertragsarzt, der erfolglos das Nachbesetzungsverfahren gem. § 103 Abs. 3a SGB V beantragt hat, daher kein werthaltiger Entschädigungsanspruch zusteht.

1.
Gem. § 103 SGB V haben die Landesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen die Möglichkeit, Zulassungsbeschränkungen anzuordnen, sofern in einem Planungsbereich eine Überversorgung vorliegt. Ein Weg für Ärzte, die einer Arztgruppe angehören, für die im entsprechenden Planungsbereich Zulassungsbeschränkungen wegen Überversorgung angeordnet sind, dennoch eine Zulassung zu erlangen, liegt im Wege der Praxisnachfolge gem. § 103 Abs. 4 SGB V. Demgemäß kann ein ausscheidender Vertragsarzt einen Antrag darauf stellen, dass sein Vertragsarztsitz ausgeschrieben und ein Praxisnachfolger ausgewählt wird. Hierdurch wird den Erfordernissen des Eigentumsschutzes Rechnung getragen: Einem Praxisinhaber wird die wirtschaftliche Verwertung seiner Praxis auch in einem für Neuzulassungen gesperrten Gebiet ermöglicht. Voraussetzung für die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens ist nach § 103 Abs. 3a SGB V ein Antrag des Vertragsarztes oder seiner zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben, die Beendigung der bisherigen Zulassung durch Tod, Verzicht oder Entziehung sowie der Umstand, dass die Praxis von einem Nachfolger weitergeführt werden soll.

Lehnt der Zulassungsausschuss eine Nachbesetzung ab, steht dem ausscheidenden Vertragsarzt in konsequenter Weise gem. § 103 Abs. 3a S. 13 SGB V ein Entschädigungsanspruch in Höhe des Verkehrswertes der Arztpraxis zu. Der Verkehrswert ist nach allgemeiner Auffassung der Wert, der am Markt bei Verkauf der Praxis tatsächlich erzielbar wäre.

2.
Das Landessozialgericht Hamburg hatte nun über einen Fall zu entscheiden, in welchem eine Praxis für Umweltmedizin aus Altersgründen aufgegeben wurde.

a)
Der als praktischer Arzt tätige Praxisinhaber hatte binnen eines Jahres lediglich 37 PatientInnen behandelt, in der Woche lediglich vier Sprechstunden angeboten und keine/n medizinische/n Fachangestellte/n beschäftigt. Die Anzahl der behandelten PatientInnen betrug im Vergleich zum Durchschnitt weniger als 5%.

Dies entspricht nach Auffassung des Gerichts nicht der Tätigkeit einer vertragsärztlichen Praxis unter den allgemein üblichen Bedingungen. Aus Sicht des Gerichts war damit die oben zuletzt genannte Voraussetzung für das Nachbesetzungsverfahren, nämlich, dass die Praxis von einem Nachfolger weitergeführt werden soll, nicht erfüllt. Denn mit diesem Merkmal sei nicht das subjektive Begehren des Vertragsarztes gemeint, sondern vielmehr werde zum Ausdruck gebracht, dass grundlegende Voraussetzung für die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens stets das Bestehen einer objektiv fortführungsfähigen Praxis - eines noch vorhandenen Praxissubstrats - sei. Ansonsten fehle dem Nachbesetzungsverfahren die innere Rechtfertigung. Folglich sei entscheidend, ob die nachzubesetzende Praxis überhaupt noch durch einen Nachfolger weitergeführt werden kann.

Dies verneinte das Landessozialgericht Hamburg in dem am 10.11.2021 entschiedenen Fall mit der Begründung, dass dort, wo keine Praxis mehr existiert, auch keine Nachbesetzung des ihr zugeordneten Vertragsarztsitzes mehr stattfinden könne. Eine vertragsärztliche Tätigkeit setze den (Mit-)Besitz von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen der für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet erforderlichen Infrastruktur voraus.

Folglich sei die Entscheidung des Zulassungsausschusses, den Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens abzulehnen, nicht angreifbar gewesen.

b)
Dem ausscheidenden Vertragsarzt hätte mithin eigentlich ein Entschädigungsanspruch gem. § 103 Abs. 3a S. 13 SGB V zugestanden.

Jedoch fehle es wie oben skizziert der streitgegenständlichen Praxis an einem verwertbaren Substrat im Sinne eines Patientenstammes und einer allgemein üblichen Praxisinfrastruktur. Der Verkehrswert liege daher bei null.

Als Indiz hierfür wertete das Gericht auch den Vortrag des Vertragsarztes, dass er selbst trotz Suche keinen Nachfolger gefunden habe. Gehe man davon aus, dass in aller Regel die Nachfrage nach Vertragsarztsitzen in überversorgten Gebieten das Angebot bei weitem übersteigt, so zeige auch diese vergebliche Suche, dass der Praxissitz nicht veräußerbar war und damit keinen Verkehrswert habe.


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